Im BROADWAY #12 – 2020/21 wurde das Thema „Zusammen“ zum Leitgedanken gewählt. Die Corona-Pandemie fordert das Zusammen heraus, ganz besonders auch in Neukölln. Zusammenhalt ist nötiger denn je. Das Magazin betrachtet das „Zusammen“ aus unterschiedlichen Perspektiven, stellt gemeinsam gefundene Strategien vor, schaut auf gemeinschaftliche Projektentwicklungen im Zentrum Karl-Marx-Straße oder auf den Zusammenhalt über religiöse Grenzen hinweg.

Stand November 2020

Gemeinsam und gemeinwohlorientiert – Projektentwicklung mal anders

Auf dem Kindl-Gelände sind derzeit viele Baustellen gleichzeitig im Gange: neben der Erweiterung des „Berlin Global Village“ sind dies auch die Projekte ALLTAG und CRCLR der TRNSFRM Genossenschaft eG. Ungewöhnlich sind neben der Form der Projektentwicklung auch die künftigen Nutzungen, die interessante Impulse im Zentrum Neuköllns setzen werden. Für den BROADWAY sprachen wir mit Simon Lee, Mitglied der TRNSFRM Genossenschaft und gleichzeitig künftiger Nutzer des CRCLR Hauses.

Broadway Neukölln

Simon Lee, künftiger Vermieter und Mieter des CRCLR House,
auf der Baustelle im Inneren des Bestandsgebäudes, © Bergsee, blau

Simon Lee, der eigentlich Mathematik studiert hat, übernimmt heute vielfältige Aufgaben bei der Umsetzung der Projekte. Er ist künftig Vermieter und Mieter zugleich und gestaltet und verwaltet mit der Projektentwicklung seine eigene Zukunft mit. Eine wichtige Voraussetzung für die gemeinschaftliche und gemeinwohlorientierte Projektentwicklung schuf die Eigentümerin großer Teile des ehemaligen Brauerei-Geländes zwischen Rollberg- und Neckarstraße: die Stiftung Edith Maryon bzw. ihre Tochtergesellschaft, die Terra Libra Immobilien GmbH. Die Stiftung kaufte die Grundstücke 2015 und erteilte den ausgewählten Projektinitiativen im sogenannten Erbbaurecht das Recht, auf ihrem Boden zu bauen und dort für 100 Jahre fortzubestehen, ohne den Boden dabei zu verkaufen. Voraussetzung war, dass die Initiativen nicht gewinn­orientiert wirtschaften, sondern mit ihren Projekten zum Gemeinwohl der Menschen der Stadt beitragen.

Die ersten Ideen für die Projekte CRCLR Haus und ALLTAG entwickelte eine Gruppe unterschiedlichster Menschen, unter ihnen Künstlerinnen und Künstler, Architekten und viele Quereinsteigende. Als die Pläne für die Gebäude konkretisiert werden sollten, entschieden sich die Projektbeteiligten für die Gründung der TRNSFRM Genossenschaft, um den Besitz der Gebäude und die Verantwortung für den Bau an eine gesonderte Organisation abzugeben, aber auch, um erlerntes Wissen zu sammeln und für weitere Projekte zur Verfügung stellen zu können.

CRCLR

Visualisierung des Projekts CRCLR House, © TRNSFRM eG

Das CRCLR-Haus
Das CRCLR Haus beruht auf der Idee des zirkulären Wirtschaftens. Die unterschiedlichen Nutzungen des Gebäudes – Wohnungen, Gewerbe und Werkstätten – sollen künftig so vernetzt sein, dass die Abfälle der einen zu Wertstoffen der anderen werden. Auch die Baustelle wird nicht konventionell betrieben. Hier gilt es, mit kostengünstigen und nachhaltigen Materialien zu bauen, es wird recycelt und experimentiert. Im November 2020 startet die kooperative Baustelle, bei der die Bauarbeiten von zukünftigen Nutzerinnen und Nutzern sowie Förderern des Projekts übernommen werden. Das gemeinschaftliche Arbeiten stärkt dabei die Beziehungen der künftigen Nutzergruppen, die auch vom Wissensaustausch profitieren. Nicht zuletzt ermöglicht die kooperative Baustelle auch beträchtliche Kosteneinsparungen. Die längere Bauzeit wird dafür gerne in Kauf genommen. Alle Beteiligten erhalten während der gesamten Baustellenphase das gleiche Grundgehalt, das aus den Einsparungen von Logistik und Materialien berechnet wird. Auch für Kinderbetreuung ist vor Ort gesorgt und es besteht die Möglichkeit, gemeinsam zu kochen.

Das Projekt ALLTAG
Im ALLTAG sollen sowohl temporäre Wohnformen als auch Platz für Gewerbe geschaffen werden. Insgesamt neun Organisationen tragen und verwalten das Projekt, dessen Schwerpunkt auf der Beherbergung sozialer Gruppen mit speziellen Schutzbedürfnissen liegt. Dies betrifft beispielweise Menschen in der Rehabilitationsphase, vor Gewalt geflüchtete Mädchen und Frauen oder Betroffene homophober Übergriffe. Die Grundrisse des Gebäudes sind dabei so konzipiert, dass die hier wohnenden Menschen gleichzeitig selbstbestimmt und in Gemeinschaft zusammenleben können. Das Erdgeschoss mit sozialen, kulturellen und gewerblichen Nutzungen wird Gelegenheit bieten, sich in die Gemeinschaft einzubringen und neue Beziehungen zur Nachbarschaft zu knüpfen. Leitgedanke ist also, ein sozial-gerechteres, vielfältiges städtisches Leben zu fördern, indem den Anwohnenden die Teilhabe am sozialen, kulturellen und Arbeitsleben erleichtert und damit auch ihre Integration gefördert wird.

Besonders wichtig ist dem gebürtigen Neuköllner Simon Lee, dass die Projekte der TRNSFRM Genossenschaft in der Nachbarschaft verankert sind und akzeptiert werden. Nicht alle Nachbarn waren dem Vorhaben von Anfang an wohl gesonnen. Besonders mit der lokalen Jugend, für die das Kindl-Gelände ein beliebter Aufenthaltsort ist, erhofft sich Simon Lee künftig ein friedliches Miteinander und arbeitet dafür schon an einigen Ideen. Er möchte sich auch dieser Herausforderung stellen, denn die Stadt muss Platz für alle bieten.

Jasmina McKenna, raumscript mit Dank an Simon Lee von der TRNSFRM eG