Die 15. Ausgabe des BROADWAY erzählt unter dem Titel „Blicke“ die Geschichten und Perspektiven einiger Menschen und Einrichtungen auf das Zentrum Karl-Marx-Straße. Sie zeigt, wie jene, die hier leben, wirken und arbeiten, die Straße tagtäglich mitgestalten und sie so zu einem lebendigen und einzigartigen Ort machen. Wir sprechen mit unterschiedlichen Akteur*innen, fangen die Sichtweisen von Kindern, Jugendlichen und Senior*innen ein und gewähren spannende Einblicke in die vielfältigen Lebensrealitäten entlang der Karl-Marx-Straße und in den angrenzenden Kiezen.

Stand Oktober 2024

Kunstblicke & Kinderaugen

Seit 2008 organisiert der Fachbereich Kultur des Bezirksamts Neukölln in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Stadtplanung und der [Aktion! Karl-Marx-Straße] künstlerische Workshops für Schulklassen. In diesen Workshops begleiten Schüler*innen, Künstler*innen sowie Planende die Umgestaltung der Karl-Marx-Straße kreativ und gestalterisch. Dabei können die Schüler*innen unter fachkundiger Anleitung selbst künstlerisch aktiv werden.

Kinderblicke

Aus alltäglichen Dingen geschaffene Kunstobjekte – „Ruf an!“ (links) und „Jefferson“ (rechts)

Im diesjährigen Projekt „Alternative Realitäten III“ erkundeten drei siebte Klassen der Zuckmayer-Schule in einwöchigen Kunstworkshops die Umgebung der Karl-Marx-Straße. Sie untersuchten urbane Artefakte – Objekte und Ausdrucksformen, die unseren Alltag und das Stadtbild prägen. Die Schüler*innen stellten Fragen wie: Was macht diesen Ort einzigartig? Welche Botschaften vermitteln die an vielen Orten anzutreffenden Aufkleber? Welche Rolle spielen Wolken, Pflanzen und Tiere im Stadtraum? Durch fotografische Streifzüge entdeckten die jungen Künstler*innen die Besonderheiten des sich verändernden Stadtraums. Sie analysierten und dokumentierten Elemente wie Gitterstrukturen, Werbung, Graffiti und Natur. Aus diesen Eindrücken entstanden eindrucksvolle Collagen und dreidimensionale Kunstobjekte, die sie aus alltäglichen Mate­rialien und Fundstücken von der Baustelle schufen. Die Kunstwerke eröffnen somit ganz persönliche Blicke auf die Lebenswelten der Karl-Marx-Straße.

Die künstlerischen Arbeiten der Schüler*innen wurden im Juli 2024 in einem leerstehenden Ladenlokal in den Neukölln Arcaden ausgestellt. Vergrößerte Reproduktionen waren darüber hinaus bis Anfang September 2024 an Bauzäunen auf dem Vorplatz des Neuköllner Rathauses zu sehen.

Der öffentliche Raum ist ein lebendiger Kommunikationsort, der mit einer Flut von Informationen, Botschaften und kulturellen Praktiken angereichert ist. Die Schüler*innen fingen die Eigenarten und Kontraste des urbanen Lebens künstlerisch in ihren Werken ein und zeigen eindrucksvoll, dass Kunst nicht nur visuell ansprechend, sondern auch ein kraftvolles Medium ist, um tiefere, auch unbequeme Wahrheiten zu vermitteln, die mehrere Ebenen für Diskurse eröffnen können.

Lassen Sie sich von den Kunstwerken inspirieren, selbst über die Bedeutung unserer urbanen Umwelt und die Rolle, die wir in ihr spielen, nachzudenken.

Kinderblicke

Mit „Jefferson“ offenbaren die Schüler*innen ihren Blick auf die bunte Karl-Marx-Straße

Jefferson (Berliner Monster)
Die Schüler*innen haben aus Einzelteilen verschiedener, allgegenwärtiger Graffitis im Stadtraum in ihrer Collage ein einzigartiges Wesen erschaffen: „Jefferson“, liebevoll als „Berliner Monster“ bezeichnet. Dieses kreative Kunstwerk vereint verschiedene Ausdrucksformen der Graffitikunst zu einer faszinierenden Collage. „Jefferson“ wandelt in dieser grinsend durch den Stadtraum.

Im 3D-Objekt wird „Jefferson“ als siberfarbene Figur lebendig und lässt die Graffitielemente der ursprünglichen Collage hinter sich. In seiner neuen Form tritt „Jefferson“ als eine eigenständige Figur auf, die wie ein Roboter wirkt und als lebendiges Symbol der städtischen Kreativität und Ausdruckskraft erscheint. Die Bezeichnung „Berliner Monster“ wiederum verleiht dem Wesen eine humorvolle und zugleich beeindruckende Note. Sie spiegelt die bunte und oft unkonventionelle Natur der Graffitikunst wider, indem sie „Jefferson“ einen Charakter und eine Persönlichkeit verleiht, die sich von den üblichen Graffitidarbietungen abhebt.

Das Kunstwerk regt dazu an, über die Entwicklung und Transformation von Urban Art nachzudenken und die oft verborgene Kreativität in unserer Stadt neu zu entdecken. Die Schüler*innen zeigen uns, dass selbst in den alltäglichen Graffitis eine außergewöhnliche Ausdruckskraft und Fantasie stecken kann – wenn wir nur bereit sind, genauer hinzusehen.

Kinderblicke

Analoges im digitalen Zeitalter – Abreißzettel als beliebtes Kommunikationsmittel

Ruf an!
In der Collage zum Thema Abreißzettel ist ein abstraktes Gesicht einer körperlosen Person mit einer Sonnenbrille zu sehen. Die Pupillen der Augen blicken auf den Laternenpfahl, der aus vielen Zetteln besteht. Vier abstrakte Finger umfassen den Laternenpfahl. Vielleicht sind sie dabei, einen Zettel mit einer Telefonnummer abzureißen? Die Szene zeigt, dass die Abreißzettel trotz Digitalisierung immer noch aktuell sind, um Nachrichten auszutauschen.

Zu diesem Thema entstand ein als 3D-Objekt museal anmutendes Telefon, wie es heutzutage kaum noch benutzt wird. Es lädt ein, über die Veränderungen der Kommunikation im öffentlichen Raum nachzudenken. Früher waren öffentliche Telefone zentrale Elemente der Kommunikation. Menschen standen sogar Schlange, um telefonieren zu können. Mit der Digitalisierung haben Smartphones, soziale Medien und Messaging-Apps diese Rolle weitgehend übernommen. Die Geschwindigkeit und Reichweite, mit der Informationen heute verbreitet werden können, haben die traditionellen Methoden nahezu verdrängt. Doch nicht ganz, wie uns die Schüler*innen eindrucksvoll belegen, da die Praxis des haptischen Zettels immer noch eine willkommene Möglichkeit ist, sich zu informieren. Zudem erinnert das Telefon an eine Zeit, in der Kommunikation vielleicht weniger hektisch und auch unmittelbarer war.

Die Schüler*innen inspirieren uns, über die evolutionäre Reise der Kommunikation nachzudenken und die Rolle zu würdigen, die öffentliche Telefone einst spielten und vielleicht immer noch spielen könnten.

Lucia Fischer, Projektkoordination