Grußwort 2024
Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #11 – 2024, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.
Stand November 2024
Grußwort
Liebe Leser*innen,
ich freue mich, Ihnen die 11. Ausgabe der Sanierungszeitung KARLSON vorstellen zu können, in der wir Sie wie gewohnt über aktuelle Entwicklungen, Sanierungsvorhaben sowie -planungen im Lebendigen Zentrum und Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee informieren.
Der Klimawandel und seine Folgen betrifft uns alle und auch für Berlin stellen sich damit ganz neue Herausforderungen. Ist schon lange klar, dass wir Menschen im Winter vor Kälte schützen müssen, ist der Hitzeschutz im Sommer ein vergleichsweise neues Thema. Doch insbesondere für vulnerable Gruppen sind die vermehrt auftretenden Hitzetage eine zunehmende gesundheitliche Belastung. Aus diesem Grund hat das Bezirksamt Neukölln einen Hitzeschutzplan erarbeitet, der mit verschiedenen Ansätzen längere Hitzeperioden erträglicher machen will.
Auch die Neugestaltung des Karl-Marx-Platzes denkt die zunehmenden Extremwetterereignisse mit. Eine Antwort darauf liegt im Entwässerungskonzept, mittels dessen zumindest ein Teil des Regenwassers künftig direkt vor Ort versickern kann. Das stärkt das Grundwasser und kühlt den Platz. Neben dem Klima stellt auch der Marktbetrieb besondere Anforderungen an das zukünftige Erscheinungsbild des Platzes. Nikolaus Fink von den Marktplanern schildert in einem Interview, welche Chancen der Umbau für den Markt und den Kiez mit sich bringt.
Ein freudiges Ereignis stellte im September die Einweihung des Neubaus des Kinder- und Jugendtreffs Blueberry in der Reuterstraße dar. Die bunte Eröffnung hat gezeigt, welche wichtige Leerstelle eines Freizeit- und Lernorts das Blueberry nun füllt. Auch bei den Planungen zur Umgestaltung des Schulhofs der Elbeschule spielt die Farbe Blau aufgrund des aufgegriffenen Themas Wasser eine große Rolle. Hier wird die Aufenthaltsqualität verbessert und im Rahmen des Beteiligungsprozesses waren die Schülerinnen und Schüler eingeladen, am Entwurf mitzuwirken.
Das Modellprojekt Campus Rütli mit seinen vielfältigen Angeboten und qualitätsvollen Freiräumen wiederum zeigt, wie sich Schule und Quartier verknüpfen lassen. Der diesjährige historische Artikel beschäftigt sich mit dem pädagogischen Ansatz der Lebensgemeinschaftsschule, der vor gut 100 Jahren am Schulstandort in der Rütlistraße verfolgt wurde. Bereits damals wurden neue pädagogische Ansätze gelebt, die weit über die Grenzen des Bezirks hinaus bekannt wurden.
Außerdem können Sie sich auf spannende neue Einblicke rund um das VOLLGUT-Gelände freuen. Denn seit dem Werkstattverfahren zur städtebaulichen Entwicklung des Komplexes im Jahr 2021 hat sich einiges getan. Seien Sie gespannt, welche Nutzungen sich ansiedeln werden und wie sich das Projekt zur Nachbarschaft öffnen möchte.
Viel Freude beim Lesen!
Jochen Biedermann
Stadtrat für Stadtentwicklung, Umwelt und Verkehr
Jochen Biedermann (© Susanne Tessa Müller)
Tore an der Uferpromenade Weichselplatz
Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #11 – 2024, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.
Stand November 2024
Tore an der Uferpromenade Weichselplatz
Am nördlichen und südlichen Eingang des Weichselplatzes wurden Zäune mit Pendeltoren errichtet, um die Uferpromenade für den Radverkehr unattraktiv und für den Fußverkehr sicherer zu gestalten. 2016 wurde der Weichselplatz im Rahmen der Städtebauförderung erneuert und eine breite Promenade am Kanal hergestellt. Diese wurde ausschließlich als Gehweg angelegt und darf von Radfahrenden nicht benutzt werden. Dies passierte aber dennoch viel zu häufig, sodass Zufußgehende oder spielende Kinder gefährdet und auch die bepflanzten Bereiche der Grünanlage geschädigt wurden. Für den Radverkehr wurde bereits 2016 die Pflüger- und die nördliche Weichselstraße so umgebaut, dass der Weichselplatz komfortabel umfahren werden kann.
Neue Pendeltore an der Uferpromenade
Ausbau der Weserstraße zur Fahrradstraße
Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #11 – 2024, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.
Stand November 2024
Ausbau der Weserstraße zur Fahrradstraße
Ein weiterer Teil der Weserstraße ist seit kurzem Fahrradstraße. Am 23. Oktober eröffneten Johannes Wieczorek (Staatssekretär für Mobilität und Verkehr) und Jochen Biedermann (Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, Umwelt und Verkehr) gemeinsam mit Anwohnenden und Interessierten den zweiten Bauabschnitt zwischen Fulda- und Innstraße. Die Bauarbeiten für dieses Teilstück begannen Ende Juni 2023, nachdem der erste Abschnitt, zwischen Pannier- und Fuldastraße, bereits im Dezember 2022 fertiggestellt worden ist.
Neu errichtete Quersperre im Kreuzungsbereich Elbestraße
Ein weiterer Teil der Weserstraße ist seit kurzem Fahrradstraße. Am 23. Oktober eröffneten Johannes Wieczorek (Staatssekretär für Mobilität und Verkehr) und Jochen Biedermann (Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, Umwelt und Verkehr) gemeinsam mit Anwohnenden und Interessierten den zweiten Bauabschnitt zwischen Fulda- und Innstraße. Die Bauarbeiten für dieses Teilstück begannen Ende Juni 2023, nachdem der erste Abschnitt, zwischen Pannier- und Fuldastraße, bereits im Dezember 2022 fertiggestellt worden ist.
Die Bauarbeiten umfassten unter anderem die Asphaltierung der 5,50 Meter breiten Fahrbahn, die Instandsetzung des Kopfsteinpflasters an den Fahrbahnrändern sowie die Beschilderung und Markierung. Ebenso wurden Ladezonen für Lieferfahrzeuge eingerichtet, Fahrradbügel aufgestellt und die Baumscheiben vergrößert. Dabei wurde zunächst der Bereich zwischen Inn- und Wildenbruchstraße umgebaut. Ab Anfang 2024 folgten die Arbeiten zwischen Wildenbruch- und Fuldastraße, wo der Anschluss an den ersten Bauabschnitts hergestellt wurde. An der Kreuzung Elbestraße wurde überdies eine Quersperre errichtet, die den Autoverkehr in Ost-West-Richtung unterbindet.
Leider kann mit dem Umbau des letzten Abschnitts der Fahrradstraße zwischen Inn- und Ederstraße/Sonnenallee nicht unmittelbar im Anschluss begonnen werden. Denn zuvor müssen hier in den Jahren 2025 und 2026 noch Leitungsarbeiten durch die Wasserbetriebe und Stromnetz Berlin durchgeführt werden. Erst nach deren Abschluss kann mit der Umgestaltung des letzten Abschnitts begonnen werden.
Wildenbruchplatz in voller Blüte
Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #11 – 2024, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.
Stand November 2024
Wildenbruchplatz in voller Blüte
Das Bezirksamt Neukölln hat 2023 an mehreren Stellen im Bezirk Blühstreifen angelegt. Die neuen Blühwiesen sollen nicht nur Insekten und anderen Kleintieren einen Lebensraum bieten, sondern zugleich das Stadtbild verschönern.
Eingezäunte Blühwiesen am Wildenbruchplatz
Am Wildenbruchplatz fanden im Herbst 2023 die ersten Bodenvorbereitungen für neue Blühstreifen statt, ehe im Frühjahr 2024 die Blühmischungen am Rand der Grünfläche ausgesät wurden. Zum Schutz der empfindlichen Aussaat errichtete das Bezirksamt Zäune um die einzelnen Blühwiesen. Zusätzlich wurde, auf Wunsch vieler Anwohnender, der innere Bereich der Grünfläche mit trittfestem Rasen ausgesät. Um dem Rasen ausreichend Zeit zum Wachsen zu geben, wurde dieser Bereich für rund zwei Monate vorübergehend eingezäunt, bis dieser Teil des Parks wieder der Öffentlichkeit übergeben wurde. Die Zäune rund um die Blühflächen dagegen bleiben noch einige Jahre bestehen, damit sich die Natur vor Ort entfalten kann. Eine dauerhafte Einzäunung ist jedoch nicht vorgesehen.
Inwieweit die Zäune die Flächen wirksam schützen und wie sie von den Nutzenden der Grünanlage angenommen werden, wird derzeit geprüft. Die Erfahrungen und Rückmeldungen verschiedener Parkbesucherinnen und -besucher an das Bezirksamt sind diesbezüglich jedoch bisher positiv. Aus Rücksicht gegenüber anderen Nutzenden sowie zur Gewährleistung eines langfristigen Schutzes der Rasen- und Blühflächen sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass auch auf dem Wildenbruchplatz eine Anleinpflicht für Hunde besteht. Frauchen und Herrchen haben die entsprechenden örtlichen Vorschriften und Gesetze zu beachten. Zusätzliche Blühflächen im Bezirk sind geplant, stehen jedoch noch nicht endgültig fest.
Vorzugsvariante für den Umbau der Elbestraße
Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #11 – 2024, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.
Stand November 2024
Vorzugsvariante für den Umbau der Elbestraße
Für die Um- und Neugestaltung der Elbestraße in einen besonders für den Fuß- wie Radverkehr attraktiven und klimaangepassten Stadtraum wurde im Mai 2023 mit der Erstellung einer Machbarkeitsstudie begonnen. Die vom Bezirk Neukölln beauftragte Gemeinschaft aus einem Verkehrs-, Landschafts- und Ingenieurbüro erarbeitete dazu fünf Gestaltungsvarianten, die im November 2023 der Öffentlichkeit präsentiert und anschließend auf dem Beteiligungsportal mein.berlin.de zur Diskussion gestellt wurden. Danach nahm die Bürogemeinschaft gemeinsam mit dem Bezirk eine fachliche Bewertung und Abwägung vor. Auf dieser Grundlage wurde im April 2024 eine Vorzugsvariante erstellt, die eine Zweirichtungsfahrradstraße und Flächen zur Regenwasserversickerung auf der Westseite, eine Fußgänger-Promenade auf der Mittelinsel sowie eine Schul- und Nachbarschaftsfläche vor der Elbe-Schule vorsieht. Diese Vorzugsvariante bildet den Ausgangspunkt für die weiteren Planungen. Mit dieser Aufgabe wird, nach Abschluss des derzeit laufenden Ausschreibungsverfahrens, voraussichtlich Ende dieses Jahres ein Planungsbüro beauftragt. Der Entwurf wird nach einer Öffentlichkeitsbeteiligung im Jahr 2025 fertiggestellt.
Die Vorzugsvariante als Zweirichtungsfahrradstraße mit Fußgänger-Promenade sowie einer Schul- und Nachbarschaftsfläche (© bgmr Landschaftsarchitekten GmbH)
Kinder entwerfen ihren Schulhof
Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #11 – 2024, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.
Stand November 2024
Kinder entwerfen ihren Schulhof
Schülerbeteiligung zur Neugestaltung des Schulhofs Elbeschule
Vor den diesjährigen Sommerferien fanden zwei Beteiligungsworkshops zur Neugestaltung des Schulhofs Elbeschule statt. Denn der abgenutzte Schulhof bietet in seinem aktuellen Zustand kein kindergerechtes und abwechslungsreiches Angebot mehr an und weist somit eine geringe Aufenthaltsqualität auf. Mit der Neugestaltung wurde das Planungsbüro Fugmann Janotta Partner beauftragt, das für alle Leistungsphasen – das heißt, von der Beteiligung, über die Entwurfsleistung bis zur Bauüberwachung – zuständig ist.
Ziel der Schülerbeteiligung war es herauszufinden, was sich die Kinder und Jugendlichen für den sanierungsbedürftigen Schulhof wünschen und wo sie sich besonders wohl oder unwohl fühlen. Im ersten Schritt konnten die Schulkinder dies im Rahmen einer Fotoaktion äußern. Viele von ihnen berichteten beispielsweise, dass sie sich bereits am Asphaltboden verletzt hatten, dass man den Geruch des Mülls zu stark wahrnimmt und dass es wenige Orte gibt, an denen man sich in Ruhe zurückziehen kann. Außerdem führt die aktuelle Anordnung der Spiel- und Sportflächen immer wieder zu Konflikten zwischen unterschiedlichen Alters- und Nutzergruppen.
In der zweiten Beteiligungsphase wurde mit Plänen, Papiercollagen und Referenzbildern gearbeitet. Auf Basis des sogenannten Musterfreiflächenprogramms, das die Anforderungen für Freizeit- und Erholungsflächen in Schulen festlegt, wurde in den Beteiligungsworkshops mit maßstabsgetreuen Elementen für Sport-, Spiel-, Rückzugs- und Naturelementen gearbeitet, mit denen die Kinder in Gruppen ihren eigenen Schulhof entwerfen konnten. Daraus sind drei Schülerentwürfe entstanden, aus denen eine Priorisierung der Nutzungen hervorging. Die Entwürfe machen deutlich, dass sich die Schulkinder weitere Tischtennisplatten, mehr Sitzgelegenheiten sowie Aufenthalts- und Rückzugsorte wünschen. Außerdem sprachen sie sich für eine Trennung der Fußball- und Basketballflächen sowie der Sport- und Sandspielflächen aus. Darüber hinaus wurde deutlich, welche Spielgeräte von den Kindern nach wie vor gerne genutzt werden und somit bestehen bleiben können.
Einblick in die Kinder- und Jugendbeteiligung (Foto © Fugmann Janotta Partner)
Unter Berücksichtigung der Beteiligung wurde ein Vorentwurf erarbeitet, der die Grundlage für die weitere Abstimmung zwischen Bezirk, Schule, dem Planungsbüro sowie die Erarbeitung des abschließenden Entwurfs darstellt. Direkt aus den Workshops eingeflossen sind beispielsweise die Hinweise, dass die Tischtennistische unter den Linden nicht gut verortet sind, da deren Blattläuse zu verklebten Tischplatten führen. Des Weiteren haben sich die Kinder Sitzmöglichkeiten gewünscht, von denen aus sie den Tischtennisspielen zusehen beziehungsweise warten können. Die Sitzmöglichkeit stellt damit gleichzeitig eine von vielen Maßnahmen zum Schutz von Baumwurzeln dar.
Der Schulhof vor der Sanierung (Foto: © Susanne Tessa Müller)
Als zentrales Gestaltungselement haben sich die Planenden eine neue Wegeführung in blauer Farbe überlegt. Diese soll einerseits das Thema Wasser aus dem Namen und dem Logo der Elbeschule farblich aufgreifen und damit identitätsstiftend wirken; gleichzeitig gibt sie dem Schulhof eine neue räumliche Gliederung von der aus diverse „Inseln“ (einzelne Spiel-, Sport- und Freizeitflächen) sowie „Ufer“ erschlossen werden. Auch die Sand- und Holzfarben sowie die geplante Schiffsoptik der neuen Spielgeräte greifen das Thema konzeptionell auf. Neu wird außerdem das „grüne Klassenzimmer“ sein, das Unterricht im Freien ermöglicht. Zu unterrichtsfreien Zeiten kann es zudem als Rückzugsort dienen.
Wie geht es nun weiter? Nach den Herbstferien 2024 hatten die Schulkinder die Möglichkeit, sich zum in der Elbeschule ausgehängten Vorentwurf zu äußern. Die Kommentare wurden über das dort vorhandene Feedback-Kasten-System eingesammelt und werden anschließend in den endgültigen Entwurf eingearbeitet. Sobald die Fassadensanierung des Hochbaus abgeschlossen ist, wird mit den Umbauarbeiten des Schulhofs begonnen. Dies soll bereits nächstes Jahr passieren. Mit der Fertigstellung des Schulhofs ist schließlich 2026 zu rechnen.
Carolina Crijns
Kultur, Gemeinwohl und Nachhaltigkeit im Fokus
Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #11 – 2024, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.
Stand November 2024
Kultur, Gemeinwohl und Nachhaltigkeit im Fokus
Aktuelle Planungen und Entwicklungen zum VOLLGUT auf dem Kindl-Areal
Zahlreiche Gebäude sind in den letzten Jahren auf dem Kindl-Gelände abgetragen, umgebaut oder neu errichtet worden. In naher Zukunft wird auch der letzte, „unentwickelte“ Teil dieses einzigartigen Stadtraums neu belebt. Die Planungen für das hier entstehende gemeinwohlorientierte Kultur- und Gewerbezentrum VOLLGUT Neukölln, das nicht nur neue Angebote im Rollbergkiez schaffen, sondern das Kindl-Areal als Ort der Begegnung und des Austauschs stärken will, laufen auf Hochtouren. Vieles hat sich gegenüber den früheren Planungen verändert – ein guter Anlass, um über den aktuellen Stand des Projekts zu berichten.
Ansicht des zukünftigen VOLLGUT Neukölln vom Kindl-Hof aus (vorläufiger Entwurf; © Atelier Buba)
Der rund 35.000 Quadratmeter große VOLLGUT-Komplex, in dem früher die vollen Tanks und die abgefüllten Bierflaschen der Kindl-Brauerei gelagert wurden, erstreckt sich über fünf Geschosse, die zu großen Teilen unterirdisch in die Rollberge gebaut sind. Seit der Schließung der Brauerei im Jahr 2005 stehen viele Flächen leer, einige Teilbereiche dagegen werden seit mehr als 10 Jahren anderweitig genutzt. Zur Entwicklung und Verwaltung des Gebäudes hat sich 2023 die Genossenschaft Vollgut eG gegründet, die die vorhandene Bausubstanz behutsam sanieren und gemeinwohlorientiert entwickeln will. Hervorgegangen ist die Vollgut eG aus der TRNSFRM eG, in der der jetzige Vorstand bereits die Projektentwicklung und -steuerung für die Gebäude CRCLR und ALLTAG innehatte. Mit dem VOLLGUT Neukölln wird nun das nächste Projekt auf dem Kindl-Gelände realisiert.
Für die städtebauliche Entwicklung der Fläche oberhalb des ehemaligen Vollgutlagers fand 2021 das Werkstattverfahren „Schule findet Stadt“ unter Beteiligung der Öffentlichkeit statt. Aus diesem ging der Entwurf „KINDL-Hallen“ des Teams ff-Architekten Feldhusen und Fleckenstein mit Häfner Jiménez Betcke Jarosch Landschaftsarchitektur als Sieger hervor. Dieser Entwurf bildete die die Grundlage für einen städtebaulichen Vertrag zwischen dem Stadtentwicklungsamt Neukölln und der Stiftung Edith Maryon als Grundstückseigentümerin, in dem die wichtigsten städtebaulichen und nutzungsbezogenen Ziele festgehalten sind.
Blick in den zukünftigen Werkhof (vorläufiger Entwurf; © Atelier Buba)
Veränderungen seit dem Werkstattverfahren
Zum Zeitpunkt des Werkstattverfahrens war vorgesehen, dass eine Waldorfschule als einer der Ankernutzer den oberirdischen Teil der VOLLGUT-Flächen bezieht. Mit dem Wegfall dieses Nutzers waren umfangreiche konzeptionelle Anpassungen verbunden. Gleichzeitig waren bauliche Überarbeitungen unabdingbar, da statische Belange den ursprünglichen Planungen entgegenstanden.
Der grundsätzliche Ansatz, die Großstruktur des Komplexes durch Einschnitte aufzulockern, um das Gebäudevolumen zu reduzieren sowie eine angemessene Belichtung und Erschließung der Flächen zu gewährleisten, wurde beibehalten. Man entschied sich jedoch, die ursprünglich geplanten zwei Werkhöfe auf einen zu reduzieren, um die Eingriffe in die bestehende Bausubstanz so gering wie möglich zu halten. Aus diesem Grund wurde auch die Lage des verbleibenden Hofes leicht verändert. Ebenfalls neu konzipiert wurde die innere Erschließung des Baukörpers. So wurde ein dreidimensionales Wegekreuz erarbeitet, das alle vier Seiten des Gebäudes und alle Geschosse zentral erschließt. Ergänzend soll ein Leitsystem die Orientierung auf dem Gelände erleichtern. Überdies soll das Gebäude künftig weitgehend barrierefrei zugänglich sein.
Die „Kindl-Promenade“, eines der zentralen Elemente des Siegerentwurfs, bleibt Bestandteil der Umgestaltungspläne. Es handelt sich hier um einen parallel zur Rollbergstraße verlaufenden öffentlich zugänglichen Freiraum, der von eher kleinteiligen Nutzungen und einem Lichthof begleitet wird. Durch den Erhalt der Trägerstruktur soll das industrielle Erbe des Ortes sichtbar und erlebbar gemacht werden. Parallel zur Kindl-Promenade wird eine Markthalle, ähnlich einer überdachten Passage, als weitere Durchwegung dienen, die im Siegerentwurf noch nicht enthalten war.
Räumlichkeiten im VOLLGUT-Komplex – jetziger Zustand (Foto: © Philipp Lohöfener)
Zukünftige Nutzungen auf dem Gelände
Die Vollgut eG zählt derzeit rund 20 gemeinnützige bzw. gemeinwohlorientierte Mitglieder-Organisationen, die sich aktiv und gleichberechtigt in den Entwicklungsprozess des Komplexes einbringen. Einige von ihnen, darunter der Club SchwuZ, der Zuhause e.V. und Artistania, sind bereits auf dem Areal ansässig; andere Mitglieder werden sich erst nach dem Umbau ansiedeln. In Zukunft wird die Genossenschaft etwa 25 bis 30 Mitglieder umfassen – je nach Aufteilung der noch freien Flächen. Mit einer Filmschule, einem Archivzentrum und einer Holzwerkstatt stehen bereits einige zukünftige Nutzungen fest. Darüber hinaus ziehen unter anderem eine Kindertagesstätte, eine Kletter- und Boulderhalle, ein Makerspace sowie eine koreanische Markthalle in das Gebäude ein. Eine vollständige Übersicht aller nutzenden Mitglieder findet sich auf der Internetseite der Vollgut eG.
Mit seinen vielfältigen Angeboten aus den Bereichen Kultur, Kunst, Bildung, Sport, Gastronomie und vielem mehr entsteht mit dem VOLLGUT ein Kultur- und Gewerbestandort im Herzen Neuköllns, der sich mit seinen niedrigschwelligen Angeboten im besonderen Maße an die Menschen aus der Nachbarschaft richtet. Das VOLLGUT wird so zu einem lebendigen Ort, der frei von Konsumzwang für alle zugänglich ist.
Die Ziellinie im Blick
Der Bauantrag wird voraussichtlich Ende 2024/Anfang 2025 beim Bezirk eingereicht. Geplanter Baubeginn ist 2025. In einem ersten Schritt sollen vordringliche Maßnahmen umgesetzt werden. Dazu gehören unter anderem die Entsorgung von Altlasten sowie notwendige Abbrucharbeiten. Der anschließende Umbau sieht minimalinvasive Eingriffe vor. Ziel ist es, die historische Bausubstanz weitgehend zu erhalten und Ressourcen zu sparen. Damit einher gehen eine kürzere Bauzeit und niedrigere Baukosten. Bis 2027 soll das VOLLGUT nach den Prinzipien des zirkulären Bauens ökologisch nachhaltig saniert sein. Im Anschluss werden die Räume durch die Nutzenden selbst ausgebaut.
Christoph Lentwojt
Weiterführende Informationen zum Kindl-Areal und Vollgut:
www.kms-sonne.de/projekte/kindl-areal
www.vollgut.berlin
Neue Bundesgeschäftsstelle des BUND
In unmittelbarer Nähe zum VOLLGUT, in der Rollbergstraße, entsteht mit der Bundesgeschäftsstelle des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland, kurz BUND, derzeit ein weiteres Gebäude auf dem Kindl-Areal. Bis Mitte 2026 wird hier ein ökologischer und nachhaltiger fünfgeschossiger Holz-Hybrid-Bau errichtet, der Platz für bis zu 180 Arbeitsplätze sowie Seminar- und Besprechungsräume bietet. Darüber hinaus sind Gemeinschaftsräume vorgesehen, die allen BUND-Mitgliedern zur Verfügung stehen und den Neubau so zu einem attraktiven, gemeinwohlorientierten Begegnungsort machen sollen.
Lern- und Begegnungsort im Grünen
Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #11 – 2024, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.
Stand November 2024
Lern- und Begegnungsort im Grünen
Der Große Garten auf dem Campus Rütli – CR2
Die Qualifizierung des Campus Rütli hin zu einem vielschichtigen Bildungs- und Begegnungsraum, an dem Schule und Nachbarschaft zusammenkommen, schreitet voran. Mit dem „Großen Garten“, der Freianlage zwischen Pflüger- und Ossastraße, konnte im vergangenen Jahr ein weiterer wichtiger Meilenstein erfolgreich umgesetzt werden.
Lageplan des Campus Rütli – CR² (© Studio Polymorph Landschaftsarchitekten)
Mit der Anlage des Großen Gartens wurde Ende 2021 begonnen; die Übergabe an die Schule erfolgte im Juli letzten Jahres. Der Entwurf stammt, wie bei den übrigen Freiflächen des Campus, von dem Büro Studio Polymorph Landschaftsarchitekten. Anders als der Calisthenics-Bereich an der Pflügerstraße ist der Große Garten nicht öffentlich zugänglich. In Abstimmung mit der Schule kann das Gelände jedoch auch von Anwohnenden genutzt werden.
Blick auf den Großen Garten mit Spielhügel (Foto © Lichtschwärmer – Christo Libuda)
Die neu geschaffene Grünfläche bietet neben Spiel- und Bewegungsanreizen Orte zum Verweilen, zum Austausch und zum Naturerleben. Zentrales Element der Anlage ist ein begrünter Hügel, der von einem geschwungenen Rundweg eingefasst und von einer Steinbank flankiert wird. Die Bank begrenzt die Erhöhung nicht durchgängig, wodurch das Innere der Fläche barrierefrei zugänglich ist. Auf der Nordseite des Hügels befinden sich Sitzstufen, die an ein Amphitheater oder ein Klassenzimmer im Grünen erinnern. Ergänzt wurde die Grünanlage zudem um Sonnenschirme, ein Gewächshaus und einen Weidendom.
Damit sind die Maßnahmen auf dem Campus Rütli aber noch nicht beendet. Kürzlich begonnen wurden die Sanierungsarbeiten am Bestandsgebäude der Schule; diese werden aller Voraussicht nach 2027 abgeschlossen sein. Bis Anfang 2025 werden bereits die Toranlagen an der Pflüger- und Ossastraße errichtet. Mittelfristig soll auch der Vorplatz an der Weserstraße als südlicher Eingangsbereich zum Campus neu gestaltet werden.
Christoph Lentwojt
Organisch geformter Rundweg mit Sitzgelegenheiten (Foto © Lichtschwärmer – Christo Libuda)
Gemeinschaft macht Schule
Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #11 – 2024, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.
Stand November 2024
Gemeinschaft macht Schule
Die Reformschulbewegung am Standort Rütlistraße im 20. Jahrhundert
Mit seinen zahlreichen Angeboten und Einrichtungen stellt der Campus Rütli – CR² im Reuterkiez für viele Schulkinder und Menschen aus der Nachbarschaft einen wichtigen Bezugspunkt dar. Herzstück des Campus ist die Gemeinschaftsschule, die auf eine 125-jährige Geschichte zurückblicken kann. Schon damals spielte der Aspekt des gemeinschaftlichen Lernens eine wichtige Rolle im Unterrichtsalltag. Reformpädagogische Ansätze eröffneten dabei ein völlig neues Verständnis von Bildung und Erziehung.
Schulstandort in der Rütlistraße um 1910 (Foto: © Museum Neukölln)
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs die Bevölkerung in Rixdorf wie im benachbarten Berlin stark an, vor allem durch den Zuzug kinderreicher Arbeiterfamilien und Gewerbetreibender. Die steigende Einwohnerzahl zog unter anderem den Bau neuer Schulen nach sich. So öffneten am 7. Oktober 1909 nach rund anderthalbjähriger Bauzeit gleich zwei Schulen in der Rütlistraße ihre Pforten: die 31. und 32. Gemeindeschule – die spätere Rütli- und Heinrich-Heine-Schule. Es handelte sich hier um öffentliche Schulen, in denen die Kinder eine schulische Grundausbildung erhielten. Während die Jungen die 31. Schule besuchten, war die 32. Schule den Mädchen vorbehalten. Gemeinsam teilten sie sich ein hufeisenförmiges Gebäude, bestehend aus einem Mittelbau und zwei zur Straße hin orientierten Seitenflügeln. Architekt war Reinhold Kiehl, der in seiner achtjährigen Tätigkeit als Stadtbaurat 14 Schulen und viele weitere prägnante Gebäude, darunter das Rathaus und das Stadtbad, für Rixdorf entwarf und das Stadtbild zu Beginn des 20. Jahrhunderts entscheidend mitbestimmte.
Busdepot unweit nördlich des Schulgebäudes, Ecke Pflügerstraße/Rütlistraße (1914)
Foto © Landesarchiv Berlin, F Rep. 290 (02) Nr. II12704
Die Umgebung des Schulstandorts war geprägt von mehrgeschossigen Mietskasernen mit einem oder mehreren Innenhöfen, die im Zuge der Industrialisierung vielerorts entstanden. In direkter Nachbarschaft zum Schulgebäude entstanden aber stattdessen vorwiegend gewerbliche Nutzungen mit Büro-, Lager- und Garagengebäuden. So errichtete die Gesellschaft für elektrische Hoch- und Untergrundbahnen in Berlin, aus der später die BVG hervorging, an der Ecke Pflügerstraße/Rütlistraße – auf dem heutigen Campusgelände – ein Busdepot. Vor dem freistehenden Schulkomplex wiederum erstreckte sich ein Turnhof, der durch den im Grundriss U-förmigen Baukörper und die Rütlistraße begrenzt wurde. Hinter dem Mittelbau befand sich der Haupthof. Ein Schulgarten gehörte ebenfalls zur Anlage.
Knapp 1.000 Schülerinnen und Schüler, verteilt auf 20 Klassen, wurden im ersten Schuljahr in der Rütlistraße unterrichtet. In den Folgejahren stiegen die Schülerzahlen stetig an. Doch der geordnete und unbeschwerte Schulalltag währte nur kurz. Denn der 1914 entfachte Erste Weltkrieg hatte massive Auswirkungen auf den Schulbetrieb. So wurden unter anderem mehrere Lehrer zum Kriegsdienst eingezogen. Zusätzlich erschwerte der Mangel an Lebensmitteln und Kohle die Unterrichtsbedingungen. Im Sommer 1915 wurde das Schulgebäude geräumt und diente fortan als Kaserne. Als Ausweichstandort wurde die 25. Gemeindeschule in der Elbestraße genutzt. Erst im Januar 1920 konnte der renovierte Schulbau wieder bezogen werden.
Koedukativer Kunst- und Werkunterricht am Schulstandort Rütlistraße (1920er Jahre; Foto © Museum Neukölln)
Schule als Versuchsfeld
Nach dem Ersten Weltkrieg wurden in Berlin sogenannte „weltliche Schulen“ eingeführt, in denen es keinen Religionsunterricht gab. Mit diesem Schulmodell ging die Forderung einher, maßgeblich vorangetrieben durch die dort beschäftigten Lehrkräfte, pädagogisch neue Wege zu beschreiten. Weitere Impulse, Bildung und Erziehung neu zu denken, kamen von engagierten Eltern. Infolgedessen wandelten sich unter anderem die Schulen am Standort Rütlistraße zu weltlichen Einrichtungen, in denen verschiedene neue pädagogische Ideen und Methoden umgesetzt wurden. Getragen wurde diese Entwicklung vor allem von jungen, sozialistischen, kommunistischen und pazifistischen Lehrkräften, die an die Stelle konservativer Lehrerinnen und Lehrer traten. Schon bald gab es daher in der Rütlistraße gemischte Klassen. Und auch bei der Bewertung der Leistungen der Schülerinnen und Schüler ging man neue Wege: Es gab weder Noten noch Zwischenzeugnisse. Stattdessen tauschten sich die Lehrkräfte in regelmäßigen Gesprächen mit den Eltern über das Lern- und Sozialverhalten der Kinder aus. Eine Ausnahme bildeten die Abgangs- und Abschlusszeugnisse, die weiterhin ausgestellt wurden.
1923 erhielten zehn Schulen in fünf Berliner Bezirken, darunter die 31. und 32. Schule in der Rütlistraße, den offiziellen Status von „Versuchsschulen“ und entwickelten sich auf Basis erster, bereits verwirklichter reformpädagogischer Ansätze zu Lebensgemeinschaftsschulen. Diese folgten den Richtlinien des damaligen Berliner Oberstadtschulrats Wilhelm Paulsen, der das Schulmodell Anfang der 1920er Jahre entwickelt hatte. Dabei griff Paulsen insbesondere auf Erfahrungen zurück, die er an Hamburger Gemeinschaftsschulen gesammelt hatte. Für weniger reformfreudige Eltern wurde in Ergänzung zu den beiden neu gegründeten Lebensgemeinschaftsschulen in der Rütlistraße im bestehenden Schulgebäude eine dritte Schule – die 41./42. Schule – eingerichtet, die als weltliche Schule ohne Reformansätze konzipiert war. Damit umfasste die Rütlischule, wie sie im Volksmund genannt wurde, nun drei Schulen.
Luftbild vom Reuterkiez aus dem Jahr 1928 mit Kennzeichnung des Schulgebäudes und der heutigen Ausdehnung des Campus Rütli – CR² (Foto © Geoportal Berlin)
Schulalltag an einer Lebensgemeinschaftsschule
In den beiden Versuchsschulen in der Rütlistraße wurde zwischen Lebensgemeinschaften und Schüler-Arbeitsgemeinschaften – das heißt, zwischen Kern- und Kursangeboten – unterschieden. Die Lebensgemeinschaften entsprachen dabei weitgehend den bisherigen Jahrgangsklassen und waren einer Klassenlehrerin bzw. einem Klassenlehrer zugeordnet. Das Verhältnis zwischen Schulkindern und Lehrkräften war stets durch ein sehr vertrauensvolles Miteinander geprägt. Man duzte sich beispielsweise, was für die Zeit durchaus ungewöhnlich war.
Im Rahmen der Arbeitsgemeinschaften, der zweiten Säule des Reformkonzepts, wurden die Neigungen der Schülerinnen und Schüler gezielt gefördert. Vier Gruppen von Arbeitsgemeinschaften (AGs) standen dabei zur Auswahl: 1.) AGs zu Unterrichtsfächern, wie beispielsweise Erdkunde und Geschichte, in denen der Unterrichtsstoff vertieft wurde, 2.) AGs zu Nicht-Unterrichtsfächern, darunter Englisch, Esperanto, Kunstgeschichte usw., 3.) AGs im musisch-kulturellen Bereich, wie zum Beispiel Chorgesang sowie Theaterspiel und 4.) AGs zu praktischen Arbeitsvorhaben. Letztere umfassten beispielsweise die Arbeit im schuleigenen Garten und handwerkliche Kurse, in denen Radios, Skier etc. angefertigt wurden. Die meisten AGs fanden an einem festen Wochentag statt, teilweise nachmittags nach der Schule. Gelegentlich nahmen auch interessierte Eltern an den AGs teil und brachten ihre Kenntnisse und Fähigkeiten ein.
Schulkinder der 31. Schule beim Esperanto-Unterricht (1928; Foto © Museum Neukölln)
Grenzen der Reformpraxis
Ungeachtet aller Erfolge und Neuerungen, welche die Arbeit der Reformpraxis in der Rütlistraße mit sich brachte, zeigten sich aber auch relativ früh die Grenzen der reformpädagogischen Bewegung. So traten soziale Gegensätze in der Elternschaft mit der Zeit immer deutlicher zutage, weshalb sich Teile von ihnen nicht mehr an schulischen Belangen und Aktivitäten (Schulzeitung, Elternversammlungen etc.) beteiligten. Hinzu kam, dass der Standort Rütlistraße immer mehr als „Auffangbecken“ für schwierige Schulkinder und Problemfälle genutzt wurde, die die Regelschulen nicht länger bei sich haben wollten.
Ab den 1930er Jahren, als sich die Folgen der Weltwirtschaftskrise zunehmend auch auf das Schulwesen auswirkten, geriet die Reformpraxis in der Rütlistraße verstärkt unter Druck. So führte zum Beispiel die hohe Arbeitslosigkeit bei vielen zu einem Gefühl von Perspektivlosigkeit. Dies äußerte sich auch in veränderten sozialen Verhaltensweisen: Diebstähle häuften sich und die Aggressivität der Kinder untereinander nahm zu. Dies war verbunden mit einem schwindenden Interesse der Eltern an dem Schulmodell. 1932 verzeichnete insbesondere die 32. Schule einen so starken Anmelderückgang, dass sie auf Beschluss des Bezirksamts aufgelöst wurde. Die betroffenen Schulkinder und Lehrkräfte wurden daraufhin auf die beiden anderen Schulen in der Rütlistraße aufgeteilt. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 führte schließlich zur endgültigen Beendigung der Reformpraxis vor Ort; die Reformschulbewegung wurde zerschlagen. In der Rütlistraße entstanden wieder zwei nach Geschlechtern getrennte Schulen.
Schulkinder beim Ausdruckstanz (1920er Jahre; Foto © privat)
Auch wenn das Modell der Lebensgemeinschaftsschule in der Rütlistraße nach rund zehn Jahren wieder ein Ende fand, so erlangte die umgangssprachlich so bezeichnete Rütlischule als Reformvolksschule damals große Aufmerksamkeit. Hier erprobten Lehrkräfte gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern sowie deren Eltern nicht nur neue Unterrichtsmethoden und -fächer, sondern revolutionierten mit ihrem pädagogischen Programm auch die schulische Bildung und Erziehung. Dies machte die „Rütlischule“ weit über die Kiezgrenzen hinaus bekannt und trug dazu bei, dass der Ansatz des gemeinschaftlichen Lernens Einzug in das Berliner Schulsystem fand.
Christoph Lentwojt
Pädagogisches Konzept im 21. Jahrhundert
Mit dem Campus Rütli rund um die Rütli-Schule ist ein für breite Bevölkerungsschichten zugänglicher Ort mit vielfältigen Bildungs- und sozialen Angeboten entstanden. Ein entsprechendes Gesamtkonzept für den Campus wurde 2007 verabschiedet. Zu Beginn des Schuljahres 2009/2010 schlossen sich die drei bis dahin eigenständigen Schulen Franz-Schubert-Grundschule, Rütli-Hauptschule und Heinrich-Heine-Realschule im Rahmen des Pilotprojekts „Gemeinschaftsschule“ der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung zur ersten Gemeinschaftsschule Berlin, Bezirk Neukölln zusammen. Im Jahr 2014 erfolgte die Umbenennung in „Gemeinschaftsschule auf dem Campus Rütli“.
Jugend Raum geben
Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #11 – 2024, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.
Stand November 2024
Jugend Raum geben
Neubau der Jugendeinrichtung Blueberry ist eröffnet
Am 13. September 2024 wurde der Neubau des Kinder- und Jugendtreffs „Blueberry“, ehemals „Blueberry Inn“, in der Reuterstraße 9-10 feierlich eröffnet. Eröffnungsreden hielten Stephan Machulik (Staatssekretär für Wohnen und Mieterschutz) und Bezirksbürgermeister Martin Hikel. Die Bezirksstadträtinnen Karin Korte (Bildung, Kultur und Sport), Sarah Nagel (Jugend) und Bezirksstadtrat Jochen Biedermann (Stadtentwicklung, Umwelt und Verkehr) meldeten sich in einer von zwei Jugendlichen geführten Podiumsdiskussion zu Wort. Trotz eines regnerischen Freitagnachmittags fiel die Einweihungsfeier sehr gut besucht aus. Die hohe Besucherzahl und der große Andrang auf den angrenzenden Spielflächen zeigten, wie groß die Vorfreude auf das neue Kinder- und Jugendangebot ist.
Eröffnung des Neubaus und der Außenanlagen
Das im Jahr 2007 errichtete Bestandsgebäude, das in Gedenken an einen verstorbenen Sozialarbeiter nun den Namen „Rahim-Yildirim-Haus“ trägt, war lange Zeit der einzige Treffpunkt für Kinder und Jugendliche im Quartier. Mit einer Fläche von 40 Quadratmeter und einer Besucherfrequenz von bis zu 80 Kindern pro Tag stieß es jedoch stark an seine Grenzen. Mit dem zusätzlichen Neubau und den neuen Außenanlagen kommt man dem dringend benötigten zusätzlichen Angebot an Jugend- und Sozialeinrichtungen nun endlich nach.
Blick auf die neue Dachterrasse (Foto © Partner und Partner Architekten)
Das neue Gebäude soll als generationsübergreifender Lern- und Spieleort dienen und gilt damit als „Leuchtturmprojekt mit Synergieeffekten“, wie Karin Korte bei der Eröffnung mitteilte. Zusätzlich zur Jugend- und Sozialarbeit des gemeinnützigen Trägers Outreach wird es ein Angebot an Kursen der Volkshochschule sowie der Helene-Nathan-Bibliothek geben. Diese richten sich nicht nur an Kinder- und Jugendliche, sondern auch an Erwachsene. So besteht für Erwachsene beispielsweise die Möglichkeit, vormittags einen Sprachkurs zu besuchen, während Schulkinder nachmittags Nachhilfe und Unterstützung bei Hausaufgaben sowie anderen schulischen Bedarfen in Anspruch nehmen können. Darüber hinaus können Kinder und Jugendliche weiterhin vor Ort – ohne Anmeldung und kostenlos – zahlreiche Freizeitangebote wahrnehmen, die vor allem dem Erlernen von Teamfähigkeit, Fairness sowie dem Umgang mit Regeln dienen sollen. Neben den täglichen Angeboten des gemeinwohlorientierten Trägers Outreach kommen regelmäßige projektorientierte Angebote hinzu, die in partizipativen Prozessen von den Kindern mitbestimmt werden. Deren Spannbreite reicht von Bewegungs- und geschlechtersensiblen Angeboten über Selbstverteidigungskurse, bis hin zu Ausflügen und Reisen. Das Bestandsgebäude ist nach der Sanierung für die Betreuung Jugendlicher ab 14 Jahren vorgesehen.
Nicht nur das soziale, sondern auch das neu geschaffene physische Angebot lässt eine Nutzung durch unterschiedliche Altersgruppen zu. Das Erdgeschoss des Neubaus verfügt über einen Bewegungsraum, einen Raum für digitale und analoge Spiele, eine Küche, in der auch gemeinsam mit den Jugendlichen gekocht wird, sowie einen halböffentlichen Garten, der ausschließlich über das neue Gebäude betreten werden kann. Damit stellt der neue Garten, als Teil des pädagogischen Konzepts, einen geschützten Außenbereich für die Kinder und Jugendlichen des Blueberry’s dar. In diesem befindet sich außerdem der „Vulkangarten“, ein aus einem Wettbewerb hervorgegangenes Kunst-am-Bau-Projekt der Künstlerin Valeska Peschke. Im zweiten Stockwerk des Gebäudes sind zudem eine Terrasse, ein Mädchenraum sowie zwei große Kursräume untergebracht.
Die Fluchttreppe verbindet die Dachterrasse mit dem halböffentlichen Garten (Foto © Partner und Partner Architekten)
Im Außenbereich erstrahlt der sanierte Fußballplatz, der mit einem Spielbereich für jüngere Kinder erweitert wurde, in neuem Licht sowie leuchtend blauer Farbe. Mit der Eröffnung des Calisthenics-Parks an der Reuterstraße Ende November 2024 wird ein zusätzliches Angebot für ältere Sportbegeisterte geschaffen. Gemeinsam mit der bereits 2022 eröffneten Spieleskulptur „Seemannsgarn“ sowie dem Kleinkinderspiel „Strandgut“ (an Stelle des ehemaligen „Käpt’n-Blaubär-Spielplatzes“) stehen nun somit zahlreiche neue Spiel- und Sportflächen für unterschiedliche Nutzergruppen zur Verfügung.
Zeitgleich mit dem Calisthenics-Park wird auch das sanierte Bestandsgebäude eröffnet. Mit deren Fertigstellung ist auch der letzte Bauabschnitt abgeschlossen. Die Gesamtkosten für Gebäude und Außenanlagen belaufen sich nach Fertigstellung der Außenanlagen auf rund 5,7 Millionen Euro. Der Neubau wurde aus dem Städtebauförderungsprogramm „Sozialer Zusammenhalt” gefördert.
Spieleskulptur „Seemannsgarn“ und dahinterliegendes Bestandsgebäude (Foto © Susanne Tessa Müller)
Geplant wurde das Projekt von der Bietergemeinschaft Partner und Partner Architektur (Neubau) und JUCA Architektur + Landschaftsarchitektur (Außenanlagen). Ihr Entwurf ging aus einem 2018 durchgeführten Auswahlverfahren als Sieger hervor. Beim Entwurf wurde besonderer Wert auf eine nachhaltige Bauweise und die Auswahl langlebiger Materialien gelegt, um eine hohe Beständigkeit zu gewährleisten. Der Neubau wurde bis auf den aussteifenden Kern und die Bodenplatte vollständig aus Holz errichtet. Darüber hinaus war es den Planenden wichtig, auf die Gegebenheiten des bestehenden Ortes einzugehen. So setzt sich beispielsweise das vom ehemaligen „Käpt’n-Blaubär-Spielplatz“ ausgehende Thema Wasser in der blauen Farbgebung der Spielgeräte, der Spielflächen und der Holzfassade des Neubaus eindrucksvoll fort.
Apropos Wasser: Wer sich bereits über die unterschiedlichen Namensgebungen „Blueberry Inn“ und „Blueberry“ gewundert hat, darf über folgende Erklärung schmunzeln: Das Wort „Inn“ spielte auf den Rückzugsort des Käpt’n Blaubärs an, das sich unter der jungen Nutzergruppe jedoch nicht durchgesetzt hat – „die Jugendlichen gehen ins Blueberry“, stellt Sozialarbeiter Michael Thoma fest. Aus diesem Grund hat man das „Inn“ aus dem Namen wieder herausrausgenommen, wie am Schriftzug des Neubaus zu erkennen ist.
Carolina Crijns
Weitere geplante soziale Einrichtungen
Das Blueberry liegt im Gebäudeblock 77 zwischen Karl-Marx-Straße und Reuterstraße, für den bereits 2015 ein Entwicklungskonzept ausgearbeitet wurde, um dem dringenden Bedarf an Kinder-, Jugend- und Familieneinrichtungen im dicht bebauten Zentrumsbereich nachzukommen. Um ausreichend öffentliche Bauflächen für die Entwicklung zu sichern, wurden ein Bebauungsplan aufgestellt und zwei Grundstücke mit Städtebauförderungsmitteln vom Land Berlin erworben. In der Baulücke an der Karl-Marx-Straße ist die Errichtung einer Kinder- und Familieneinrichtung geplant. Derzeit werden die Grundlagen für die konkrete Entwurfsplanung erarbeitet.
Ansprechpartner
Bezirksamt Neukölln
Stadtentwicklungsamt
Fachbereich Stadtplanung
Karl-Marx-Straße 83, 12040 Berlin
Tel.: 030 – 90 239 2153
stadtplanung(at)bezirksamt-neukoelln.de
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen IV C 32
Anke Heutling
Württembergische Straße 6-7, 10707 Berlin
Tel.: 030 – 90 173 4914
anke.heutling(at)senstadt.berlin.de
BSG Brandenburgische
Stadterneuerungsgesellschaft mbH
Sanierungsbeauftragte des Landes Berlin
Karl-Marx-Straße 117 , 12043 Berlin
Tel.: 030 – 685 987 71
kms(at)bsgmbh.com
Lenkungsgruppe
der [Aktion! Karl-Marx-Straße]
lenkungsgruppe(at)aktion-kms.de
Citymanagement
der [Aktion! Karl-Marx-Straße]
Richardstraße 5, 12043 Berlin
Tel.: 030 – 22 197 293
cm(at)aktion-kms.de