Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #8 – 2021, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.
Stand Juli 2021
Zwischen Wohnumfeldverbesserung und Klimaanpassung
Die Gestaltung und Begrünung von Innenhöfen ist ein festgelegtes vorrangiges Sanierungsziel. Zum einen geht es um die Beseitigung ästhetisch-funktionaler Missstände, womit das Wohnumfeld verbessert werden soll. Zum anderen gewinnen aber auch Ziele der Ökologie und der Klimaanpassung an Bedeutung. Maßnahmen in den Hofbereichen sind zum Beispiel die Beseitigung von Kfz-Parkplätzen, die Neugestaltung von Flächen für Müllstandorte oder die Schaffung und Gestaltung von Fahrradstellplätzen.
Der Hof Kienitzer Straße 8 nach der Umgestaltung ist weitgehend entsiegelt und das Regenwasser kann besser versickern, © Bergsee, blau
Mit Hof-, Dach- und Fassadenbegrünungen wird eine Verbesserung des Mikroklimas für die Anwohnenden erreicht. Besonders in heißen Sommern können Pflanzen in den Wohnhöfen Feuchtigkeit verdunsten und Schatten spenden. Das hat positive Effekte auf die Luftfeuchtigkeit und auf die Temperatur vor Ort und wirkt sich direkt auf die Wohnqualität aus. Die Entsiegelung von gepflasterten Flächen, verbunden mit Regenwasserrückhaltesystemen, führt zudem zu einer Versickerung des Regenwassers auf den jeweiligen Grundstücken. Damit wird das Regenwasser nicht mehr in die Kanalisation abgeführt und entlastet das bei Wetterextremen wie Starkregen überlastete städtische Kanalsystem.
Grundsätzlich liegt die Entscheidung, eine Hofbegrünungsmaßnahme durch-
zuführen, bei den Eigentümerinnen und Eigentümern der Grundstücke. Im Einzelfall können dazu Initiativen der Bewohnerschaft beitragen. Finanziell können im Sanierungsgebiet solche Vorhaben begrenzt unterstützt werden. Dies geschieht dann mit einer individuell vertraglichen Vereinbarung in Form sogenannter Ordnungsmaßnahmemittel. Diese stehen als Ausgleich zur Verfügung, wenn unwirtschaftliche Kosten für die Neugestaltung der Höfe nachgewiesen werden können.
Der Hof Finowstraße 28 ist grün und bietet dennoch vielen Nutzungen Platz © Bergsee, blau
Hofbegrünungen im Rahmen sanierungsrechtlicher Genehmigungen
Der wichtigste Anlass für die Durchführung von Hofbegrünungen im Sanierungsgebiet ist jedoch, wenn dies vom Bezirksamt im Zuge der sanierungsrechtlichen Genehmigung für beantragte Baumaßnahmen auf einem Grundstück eingefordert wird. Besonders die Nachverdichtung auf einem Grundstück, also z. B. Dachgeschossausbau, Aufstockung oder Neubau, ist nur bei qualitativer Aufwertung der Gesamtsituation auf dem Grundstück sanierungsrechtlich genehmigungsfähig. Die Grundlage zur Beurteilung eines Vorhabens sind dabei die vom Bezirksamt Neukölln 2014 beschlossenen „Städtebaulichen Leitlinien zur planungsrechtlichen Beurteilung von Wohnungsbauvorhaben der Nachverdichtung und im Bestand“. Hier wird vorgegeben, welcher Mindestanteil der Flächen auf den Grundstücken für den Naturhaushalt wirksam sein muss – sei es als bepflanzte Fläche, Fläche für die Versickerung oder Verdunstung oder auch als Dach- und Fassadenbegrünung. Dieser Wert wird Biotopflächenfaktor (BFF) genannt und seit 1990 berlinweit als Richtschnur angewendet. Dabei wird die Wirkung bestimmter Vegetations-, Belags- und Begrünungsflächen unterschieden und mit Punkten zwischen 0 und 1 bewertet. Für das Grundstück ist am Ende eine Mindestpunktzahl zu erreichen.
Beispielhafte Darstellung des Biotopflächenfaktors
Quelle: Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz
Biotopflächenfaktor: 0,04
Der Großteil der nicht überbauten Fläche ist als Hof- oder Wegefläche voll- oder teilversiegelt. Die Niederschläge werden überwiegend an die Kanalisation abgeführt.
Biotopflächenfaktor: 0,45
Durch Entsiegelungsmaßnahmen wird Raum für weitere Vegetationsflächen geschaffen. Diese dienen zur vollständigen Versickerung der auf den Gebäudedächern anfallenden Niederschläge.
© Dominik Joswig (IASP Berlin)
Positive Effekte für die ansässige Bevölkerung
Im Sanierungsgebiet gilt zudem, dass ein Ziel-BFF nicht nur quantitativ zu erfüllen ist. Es soll dabei auch qualitativ ein größtmöglicher Effekt für die ansässige Bevölkerung erzielt werden. Auch wenn beides wünschenswert ist, sind im Zweifelsfalle Hofentsiegelungen und -begrünungen den Dach- oder Fassadenbegrünungen vorzuziehen. Wo dies möglich und sinnvoll ist, sollten zudem die Müll- und Fahrradabstellflächen in Innenräume des Gebäudes (Parterre oder Keller) verlagert werden. Gestalterische und ökologische Vorgaben sowie Beispiellösungen zur Begrünung von Innenhöfen im Zuge von Stadterneuerungsmaßnahmen sind 2015 vom Stadtentwicklungsamt in der Broschüre „Grüne Oasen in Neukölln“ zusammengestellt worden. In dieser werden für Höfe geeignete Stauden, Sträucher und Bäume aufgelistet, aber auch einzelne Gestaltungselemente wie Kiesgärten, Hochbeete, Gartenteiche oder Dach- und Fassadenbegrünung beschrieben und Rahmenbedingungen für die Anlage von Müllplätzen, Fahrradstellflächen, Sitzecken oder Kinderspielplätzen dargestellt.
Viel Grün trotz wenig Fläche im Hof Karl-Marx-Straße 166, © Bergsee, blau
Das Stadtentwicklungsamt kontrolliert regelmäßig, inwieweit die als Ausgleichmaßnahme geforderten Hofumgestaltungen und -begrünungen durchgeführt wurden und dauerhaft gepflegt werden. Bisher wurden rund 30 Höfe im Sanierungsgebiet begrünt. Auf über 30 weiteren Grundstücken sind Maßnahmen genehmigt worden oder bereits in der Durchführung, an deren Abschluss ebenfalls eine Hofbegrünung stehen wird. Der Prozess schreitet somit kontinuierlich voran.
Alexander Tölle