Die 16. Ausgabe ist dem Thema „Begegnungen“ gewidmet und hebt die Bedeutung von Orten hervor, an denen Menschen in ihrer Vielfalt zusammenkommen können. Denn ein funktionierendes Zentrum ist mehr als nur ein wichtiger Imagefaktor für den Bezirk. Es soll auch ein Ort des Austauschs sein – unabhängig von Herkunft, Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung sowie sozialer und religiöser Zugehörigkeit. Im Zuge dessen werden Orte rund um die Karl-Marx-Straße vorgestellt, an denen Gemeinschaft erlebbar wird: im öffentlichen Raum, in öffentlichen Einrichtungen, in Vereinen ebenso wie in Lokalen. Sie alle bergen das Potenzial, eine gesellschaftsverbindende Rolle einzunehmen, was gerade in der heutigen Zeit von immer größerer Bedeutung ist.

Stand August 2025

Bibliotheken bauen Brücken

Während Bibliotheken für so manche als Begegnungsorte schlechthin gelten, gibt es dennoch viele Menschen, die selten oder sogar noch nie eine betreten haben. Die einen sehen sie als willkommensoffene Häuser, doch andere empfinden eine imaginäre Hemmschwelle. Haben einige noch das Bild einer alteingesessenen Institution vor Augen, so können andere bestätigen, dass sich moderne Bibliotheken in den letzten Jahrzehnten in ihrer Ausstattung und ihren Angeboten stark weiterentwickelt haben. Wie versteht die Helene-Nathan-Bibliothek in diesem Kontext ihre Rolle als Bezirkszentralbibliothek von Berlin-Neukölln? 

Umbrüche gibt es zurzeit sehr viele. Auch Bibliotheken sind den aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen ausgesetzt und befinden sich dadurch stark im Wandel. Vor allem die zunehmende Privatisierung öffentlicher Orte und die damit einhergehende Konsumpflicht setzen Städte enorm unter Druck. Denn dadurch werden die Hürden, sich am öffentlichen Leben beteiligen zu können, immer größer. Um diese Lücke zu füllen, werden Bibliotheken zunehmend in der Verantwortung gesehen, sich zu möglichst offenen Begegnungsorten zu entwickeln. 

Die Gründe, warum sich Bibliotheken besonders gut als niederschwelliger Kiez-Treffpunkt eignen, sind vielfältig: Man muss sich hier weder anmelden noch ausweisen, erklären oder für den Aufenthalt zahlen. Vor allem während der Wintermonate wird deutlich, wie sehr es an solchen Orten in Nord-Neukölln mangelt. So verabreden sich beispielsweise Kleinfamilien in der Kinderbuchabteilung, um den Samstagvormittag gemeinsam zu verbringen.

Bibliothek

Die Helene-Nathan-Bibliothek sieht ihre Aufgabe, möglichst allen offen zu stehen, auch darin, ihr Programm so vielfältig wie möglich auszurichten. Regelmäßig und mehrfach in der Woche finden Angebote für Kitas und Schulen statt. Zu den abwechslungsreichen Angeboten zählt darüber hinaus auch das Sprachcafé, bei dem sich Menschen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, auf Deutsch miteinander unterhalten können, um die Sprache direkt in ihrem alltäglichen Gebrauch anzuwenden. Im Rahmen des Projekts „Digital-Zebra“ wird Hilfestellung im Umgang mit digitalen Geräten, dem Internet oder digitalen Formularen angeboten. Beim Jobcafé werden Menschen bei der Jobsuche beraten. Zudem gibt es viele Vorträge zu aktuellen Themen, wie zum Beispiel: Wie verhält man sich im Sommer am besten bei Hitze? Das Lerncoaching, das auch im Blueberry angeboten wird, unterstützt Schüler*innen bei den Hausaufgaben und bei der Prüfungsvorbereitung. Darüber hinaus werden zahlreiche kreative Kurse angeboten, darunter Schreib-, Theater-, Comic- und Näh-Workshops.

Bei der Programmausrichtung stehen im Wesentlichen zwei Aspekte im Vordergrund: Einerseits sollen die Menschen in ihrer Selbstermächtigung gestärkt werden, um ihren Alltag leichter bewältigen zu können. Dies kann durch das Aneignen neuer Fähigkeiten oder Kenntnisse gefördert werden. Andererseits soll Neugier geweckt werden. In den Kursangeboten kann man sich neuen Dingen auf spielerische Weise annähern, muss kein Vorwissen mitbringen und kann auch einfach mal etwas ausprobieren, ohne vorher viel Geld für Materialien oder Utensilien ausgeben zu müssen.

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Außerdem bemüht sich die Bibliothek aktiv, neue Zielgruppen zu erreichen und ihre Angebote einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dabei setzt sie auf Kooperationen – etwa mit den Stadtteilmüttern –, um Brücken in den Stadtteil zu schlagen. Indem diese Partner*innen ihre kiezoffenen Veranstaltungen in der Bibliothek und aufsuchend durchführen, entsteht Kontakt zu Menschen, die zuvor kaum Berührung mit dem Ort hatten. War dieses Publikum einmal vor Ort, ist die Hemmschwelle geringer, beim nächsten Mal auch allein zu kommen. Im Grunde geht es darum, die Bibliothek als Begegnungs- und Verweilort für ein größeres Publikum erlebbar zu machen. 

Die Helene-Nathan-Bibliothek als einzige öffentliche Bibliothek in Nord-Neukölln stößt in all ihrem Engagement trotzdem auch an Grenzen. Um den nötigen Bedarf ausreichend zu decken, bräuchte sie beispielsweise weitaus mehr Nutzungsfläche. Zudem fehlt ohne ein berlinweites Bibliotheksgesetz der rechtliche Rahmen, der Kürzungen erschweren und Angebote noch stärker und langfristig absichern könnte. 

Mit Blick in die Zukunft wünschen sich die Bibliotheksleiterin Claudia Lumpe und die Community-Managerin Franziska Vorwerk-Laabs, auch weiterhin ein so dichtes und abwechslungsreiches Angebot auf die Beine stellen zu können. Zudem möchten sie noch mehr Menschen für ihre Angebote gewinnen. Auch in Zukunft soll die Bibliothek als Ort der Offenheit, an dem Vielfalt geschätzt und ein respektvoller Umgang miteinander gelebt wird, bestehen bleiben.

Carolina Crijns, raumscript