Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #6 – 2019, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.
Stand August 2019
Auf den Ufern des Neukölln Schifffahrtskanals
Eine Uferpromenade unter dem Schatten alter Bäume für Flaneure und Fahrradfahrer*innen, Spielplätze und Parkbänke für Alt und Jung, Restaurants und Cafés mit Blick aufs Wasser – entsteht südöstlich des Lohmühlenbeckens eine Fortsetzung der Kreuzberger Kanalromantik? Im zweiten Teil der Artikelserie zur Geschichte „Trepköllns“ blickt der Historiker Henning Holsten zurück auf die Erbauung und frühe Nutzung der wichtigsten Wasserstraße Neuköllns Anfang des letzten Jahrhunderts.
Wildenbruchpark mit Grotte um 1910. Hinter der Fontäne das Verwaltungsgebäude der Pumpstation. (© Museum Neukölln)
Ansätze gutbürgerlicher Lebenskultur gab es bereits vor über 100 Jahren, als der Kanal und die umgebenden Wohnviertel erbaut wurden. Die Rixdorfer Stadtplaner Hermann Weigand und Reinhold Kiehl, nach denen heute die Uferstraßen benannt sind, hatten aber zunächst elementarere Bedürfnisse der rasant wachsenden Stadtgemeinde und seiner mehrheitlich proletarischen Bewohnerschaft im Blick.
Lebensader der wirtschaftlichen Stadtentwicklung
Zuallererst diente der 1902 begonnene Kanalbau der Trockenlegung des „froschquakenden Überschwemmungsgebietes“ der Köllnischen Wiesen (siehe KARLSON 4/2017). Nach der Freigabe für den Verkehr im April 1904 wurde der Schiffahrtskanal vorwiegend von schweren Lastkähnen befahren, die Ziegel und Holz für die Bebauung der dadurch erschlossenen Flächen lieferten. „Auch Rixdorf wird, wie Berlin, ‚aus dem Kahn‘ erbaut“, bemerkte die Rixdorfer Zeitung am 8.7.1904.
Neben Baumaterial machten die Kohlelieferungen für die städtische Gasanstalt in der Teupitzer Straße einen Großteil des Frachtverkehrs aus. Mit dem Anschluss des Kanals an den Teltowkanal im Süden der Stadt und der Anlage eines modernen Industriehafens südlich der heutigen Sonnenallee verbanden die Stadtväter 1914 große Hoffnungen auf einen Aufschwung von Gewerbe, Industrie und Handel Neuköllns – die sich durch den Ausbruch des 1. Weltkrieges jedoch schnell zerschlugen.
Verbunden wurden die neu angelegten Straßen zu beiden Seiten des Kanals zunächst durch vier provisorische Holzbrücken: die Lohmühlen-, Wildenbruch-, Teupitzer- und Treptower Brücke, die erst nach Kriegsende durch Steinbauten ersetzt wurden. Hinzu kam bereits 1906 der Elsensteg, der bis heute den Fußgänger*innen vorbehalten ist. Unterirdische Toilettenanlagen neben den Brücken und „Trinkhallen“ genannte Kioskhäuschen an Lohmühlen-, Weichsel- und Wildenbruchplatz befriedigten die dringendsten Bedürfnisse der täglich über den Kanal strömenden Bevölkerung.
Eisläufer auf dem zugefrorenen Kanal um 1910. Hinter der Treptower Brücke sind die gigantischen Kohlekräne der städtischen Gasanstalt zu erkennen. (© Museum Neukölln)
Ansätze gutbürgerlicher Lebenskultur gab es bereits vor über 100 Jahren, als der Kanal und die umgebenden Wohnviertel erbaut wurden. Die Rixdorfer Stadtplaner Hermann Weigand und Reinhold Kiehl, nach denen heute die Uferstraßen benannt sind, hatten aber zunächst elementarere Bedürfnisse der rasant wachsenden Stadtgemeinde und seiner mehrheitlich proletarischen Bewohnerschaft im Blick.
Lebensader der wirtschaftlichen Stadtentwicklung
Zuallererst diente der 1902 begonnene Kanalbau der Trockenlegung des „froschquakenden Überschwemmungsgebietes“ der Köllnischen Wiesen (siehe KARLSON 4/2017). Nach der Freigabe für den Verkehr im April 1904 wurde der Schiffahrtskanal vorwiegend von schweren Lastkähnen befahren, die Ziegel und Holz für die Bebauung der dadurch erschlossenen Flächen lieferten. „Auch Rixdorf wird, wie Berlin, ‚aus dem Kahn‘ erbaut“, bemerkte die Rixdorfer Zeitung am 8.7.1904.
Neben Baumaterial machten die Kohlelieferungen für die städtische Gasanstalt in der Teupitzer Straße einen Großteil des Frachtverkehrs aus. Mit dem Anschluss des Kanals an den Teltowkanal im Süden der Stadt und der Anlage eines modernen Industriehafens südlich der heutigen Sonnenallee verbanden die Stadtväter 1914 große Hoffnungen auf einen Aufschwung von Gewerbe, Industrie und Handel Neuköllns – die sich durch den Ausbruch des 1. Weltkrieges jedoch schnell zerschlugen.
Verbunden wurden die neu angelegten Straßen zu beiden Seiten des Kanals zunächst durch vier provisorische Holzbrücken: die Lohmühlen-, Wildenbruch-, Teupitzer- und Treptower Brücke, die erst nach Kriegsende durch Steinbauten ersetzt wurden. Hinzu kam bereits 1906 der Elsensteg, der bis heute den Fußgänger*innen vorbehalten ist. Unterirdische Toilettenanlagen neben den Brücken und „Trinkhallen“ genannte Kioskhäuschen an Lohmühlen-, Weichsel- und Wildenbruchplatz befriedigten die dringendsten Bedürfnisse der täglich über den Kanal strömenden Bevölkerung.
Wettschwimmen „Quer durch Neukölln“ 1921. Am Ufer die Anlegestelle am Weichselplatz (© Museum Neukölln)
Bürgerliche Wohnkultur in der Arbeiterstadt
Neben der Versorgung der größtenteils ärmlichen Bewohnerschaft mit Wohn- und Arbeitsplätzen bemühte man sich jedoch auch um eine attraktivere Gestaltung der neuen Wohnviertel, um ein eher bürgerliches Publikum anzusprechen. So wurden insbesondere entlang des Weigandufers mehrere Baumreihen gepflanzt, Spielplätze und kleine Schmuckplätze angelegt, die zum Aufenthalt und zur Erholung vom rauen Arbeitsalltag einluden.
Herausragendes Beispiel ist der 1905 eingeweihte Wildenbruchpark. Hier stand die Pumpstation der Rixdorfer Kanalisationswerke, die seit 1893 die Rixdorfer Haushalts- und Straßenabwässer zu den Rieselfeldern in Boddinsfelde leiteten. Die warmen Abwässer der Pumpmaschinen ermöglichten die Einrichtung einer einzigartigen Besonderheit der ansonsten wenig spektakulären Grünanlage: Eine Tuffsteingrotte mit Wasserbassin und Springbrunnen. Im ganzjährig erwärmten Wasserbecken tummelten sich nicht nur Goldfische, sondern ab 1927 auch eine seltene Amazonas-Seerose, deren prächtige Blüten sich nur zwei Nächte im Jahr öffneten.
Die vom Gartenamt sorgsam gepflegte Wildenbruch-Grotte lockte allerdings nicht nur erwünschte Gäste an. Presseberichten der 1930er Jahre zufolge setzte in den warmen Monaten allabendlich eine regelrechte Ratten-Wanderung vom nahen Kanalufer ein, da der warme Tuffstein den Nagern behaglichen Unterschlupf und die Essensreste der Parkbesucher ein willkommenes Abendessen boten. Vandalismus und Kriegszerstörungen verschärften das Problem nach 1945 noch, so dass die beliebte Grottenanlage 1951 im Zuge einer Neugestaltung des Parks beseitigt wurde.
Die Westseite des Wildenbruchplatzes mit der Felsengrotte kurz nach der Fertigstellung 1905. Im Hintergrund das noch unbebaute Kanalufer mit der hölzernen Wildenbruchbrücke. (© Museum Neukölln)
Proletarisches Vergnügen
Neben Arbeit und Regeneration bot der Kanal den Neuköllner*innen auch Gelegenheit zu Sport und Freizeitspaß. In den ersten Jahren hatte der Magistrat die Rechte zum Angeln, Schwimmen und Eislaufen noch einem Pächter übertragen – wogegen insbesondere die Rixdorfer Sozialdemokraten heftig protestierten. In der Zeit der Republik organisierten dann Arbeitersportvereine das jährliche Wettschwimmen „Quer durch Neukölln“ vom Lohmühlenbecken bis zur heutigen Sonnenbrücke, an dem meist über 100 Schwimmer*innen teilnahmen, die von Tausenden vom Ufer aus angefeuert wurden.
Während das Schwimmen im Kanal in den 1950er Jahren aufgrund der schlechten Wasserqualität untersagt wurde, hat sich ein anderes Freizeitvergnügen bis auf die heutigen Tage erhalten. Von der Anlegestelle an der Wildenbruchbrücke starteten bereits ab 1913 in den Sommermonaten Ausflugsdampfer in Richtung Havelseen oder Müggelberge. Besonders beliebt waren „Mondscheinfahrten“ zur Abteiinsel in der Spree (heute Insel der Jugend), die von 1913 bis 1920 zu Neukölln gehörte, oder zum Feuerwerk „Treptow in Flammen“ während des Stralauer Fischzuges.
Henning Holsten
Neugestaltung der ehemaligen Brunnenanlage Wildenbruchplatz
Im Zusammenhang mit der Neugestaltung des Weigandufers soll in der Parkanlage Wildenbruchplatz die schon lange außer Betrieb gestellte Brunnenanlage neu gestaltet werden. Dafür wird voraussichtlich Ende des Jahres 2019 ein Ideenwettbewerb ausgeschrieben. Ziel des Wettbewerbs könnte die künstlerische Interpretation des Themas „Brunnen“ durch ein freiräumliches Objekt sein.