Warum hat sich der Deutsche Chorverband für die Karl-Marx-Straße als Standort für das neue Chorzentrum entschieden?
Wichtig war für uns immer die räumliche Nähe zur bundesdeutschen Politik. Deshalb sind wir als Verband 2008 nach dem Regierungsumzug von Köln nach Berlin gezogen und sind hier auf die Suche nach einer geeigneten Immobilie gegangen. Wir haben insgesamt 21 Standorte begutachtet und dabei unsere Bedürfnisse geordnet. Seit 2015 haben wir den Blick nach Neukölln gerichtet. Gründe hierfür waren unter anderem die vorhandene vielfältige und gleichzeitig bodenständige Kulturszene. Es gab in Neukölln seit den 1980er Jahren viele kulturpolitisch muntere Menschen, die für die heutige Entwicklung die Weichen gestellt haben und die dem kulturellen Standort Karl-Marx-Straße bis heute ein besonderes Gesicht geben.
Das Chorzentrum ist kein eigener Veranstaltungsort, sondern nutzt die Nähe zu den vielen weiteren Kulturstandorten hier. Wir sind zum Beispiel im engen Austausch mit dem Heimathafen nebenan, zu dem sich über das große Tor im Hof schnell eine räumliche Verbindung herstellen lässt.
Welche Herausforderungen sehen Sie bei Ihrer Arbeit?
Das Singen in einem Chor steht in großer Konkurrenz zu anderen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Wir wollen das Singen wieder zu den Menschen bringen. Viele haben sich in den letzten Jahrzehnten mit nachhaltiger Wirkung vom Singen abgewendet. So manch einem ist das Singen peinlich geworden. Das wollen wir ändern. Deshalb ist auch die Musikpädagogik ein Schwerpunkt in unserem politischen Engagement. Zudem müssen wir uns gezielt um die Seniorinnen und Senioren kümmern. Chorsingen hilft gegen Einsamkeit und hält physisch und psychisch fit.
Was hat sich in ihrer Arbeit verändert, seitdem sie hier an der Karl-Marx-Straße sind?
Die räumliche Nähe der im Chorzentrum ansässigen Nutzerinnen und Nutzer führt zu Synergien, die man an getrennten Standorten nicht erreichen würde. Wir können darüber hinaus in unseren neuen Räumen Gäste empfangen, die gar nichts mit Musik zu tun haben und uns ihrerseits inspirieren. Damit werden auch neue Kontakte zu wichtigen Zielgruppen geknüpft.
Der Neubau und die Pandemie haben unsere technischen und digitalen Möglichkeiten sehr erweitert. Dies ermöglicht ein anderes Arbeiten und hat vielfach zur Verbesserung der Kommunikation beigetragen. Jedoch kann auch die intelligenteste Technik nur organisatorisch unterstützen und hilft sonst beim Singen nicht viel. Singen ist analog, emotional und höchst individuell. Es stärkt die sozialen Beziehungen und ist als Form der Gemeinschaftsbildung ein hohes Gut, das wir von hier aus auf vielen Wegen unterstützen.
Interview: Stephanie Otto, raumscript