Im KARLON #5 – 2018, der Sanierungszeitung für das Gebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee, können Sie sich wieder über die vielschichtigen Entwicklungen informieren. Die Themen reichen von den zahlreichen Verkehrsprojekten über die Erneuerung am Weigandufer zu den Möglichkeiten der Beteiligung im Sanierungsgebiet.
Bunter Kosmos Sonnenallee
Ein Blick auf die Situation des Gewerbes
Lebendige Sonnenallee
Die Sonnenallee führt als längste Straße des Bezirks 4,5 Kilometer durch Neukölln, davon gut einen Kilometer durch das Sanierungsgebiet. Die Vielfalt der Menschen, die hier leben und arbeiten, ist groß. Fernsehserien haben den bunten Schauplatz entdeckt; Artikelserien in Berliner Tageszeitungen widmen sich der Sonnenallee mit seinen Bewohner*innen und Geschäften. Für den KARLSON sprachen Ann-Christin Rolfes-Bursi und Stephanie Otto mit den Gewerbeberatern Eberhard Mutscheller und Refat Abusalem von der mpr Unternehmensberatung über die Situation der Gewerbebetriebe an der Sonnenallee.
KS: Welche Aufgaben nehmen Sie im Teilprojekt „Stadtteilmanagement Sonnenallee“ des BIWAQ-Projekts „Unternehmen Neukölln“ wahr?
mpr: Wir unterstützen die Gewerbetreibenden entlang der Sonnenallee, bieten Sprechstunden an, suchen die Gewerbebetriebe vor allem aber regelmäßig persönlich auf, um sie in allen unternehmerischen Fragen vor Ort zu beraten und so gemeinsam bedarfsgerechte Angebote für diesen Standort zu entwickeln. Dabei bringen wir auch die Unternehmen mit Arbeitssuchenden zusammen und kooperieren eng mit den Netzwerken hier vor Ort.
KS: Wie schätzen Sie die Situation der Sonnenallee heute ein?
mpr: Die Sonnenallee ist etwas strukturierter als noch vor ein paar Jahren, z.B. auch nicht mehr so vermüllt. Die Anstrengungen aller, wie dem Ordnungsamt, dem Quartiersmanagement, dem Projekt „Schön wie wir“ oder unserem Projekt, zeigen Wirkung. Auch die Gewerbetreibenden sind achtsamer geworden. Der nördliche Teil wird nach verbreiteter Ansicht immer arabischer, was faktisch aber nicht stimmt. Zwischen Hermannplatz und Erkstraße befinden sich circa 50 % arabische Geschäfte, auf der westlichen Seite sehr viele kleine Geschäfte europäischer Prägung. Auch Deutsche machen mittlerweile mit arabischen Schriftzügen Werbung, um die arabische Kundschaft anzusprechen. Viele Geflüchtete kommen in die Sonnenallee, weil sie hier Angebote in ihrer Sprache und für ihre Bedürfnisse bekommen. Südlich der Erkstraße findet man dann eine eher typische Berliner Mischung. Das Publikum ist sehr international, gleichzeitig gibt es auch bei den jungen deutschen Anwohner*innen keine Hemmschwellen, in arabischen Geschäften einzukaufen.
Grundsätzlich ist der Anteil der Gastronomiebetriebe sehr hoch. Zudem gibt es viele Friseurgeschäfte. Handwerksbetriebe finden sich eher südlich der Innstraße und in den Seitenstraßen.
KS: Mit welchen Anliegen wenden sich die Gewerbetreibenden an Sie?
mpr: Es sind oft Personalprobleme, zurzeit aber vordringlich die steigenden Mieten. Die kurzfristigen Kündigungen vieler Gewerbemietverträge führen zu großer Unruhe und steigender Unsicherheit. Die Alt-Eingesessenen bangen um ihre Geschäfte und ihre Kundschaft. Die Gewerbemieten liegen bei Neuvermietungen mittlerweile oft bei 55-80 Euro pro Quadratmeter. 2015 lag das Mietniveau noch überwiegend bei circa 20 Euro im Einzelhandel und 30-40 Euro für Gastronomiebetriebe.
KS: Wie bewerten Sie die Entwicklung der gastronomischen Einrichtungen?
mpr: Wir befürchten, dass die zunehmende Gastronomisierung uns in schlechteren Zeiten auf die Füße fallen wird und viele Betriebe wieder schließen müssen. Die Straße sollte sich besser nicht zu einer „Fressmeile“ entwickeln, auch wenn es dafür zurzeit genügend Besucher*innen der Straße zu geben scheint.
KS: Welche Instrumente sind aus Ihrer Sicht geeignet, die Situation der Gewerbetreibenden im Gebiet zu verbessern?
mpr: Es bräuchte mehr Sicherheit für Gewerbemietverträge. Die Miethöhen wird man hingegen nicht steuern können. Grundsätzlich ist es schwer, mit den Gewerbebetrieben gemeinsame Initiativen für die Straße zu starten. Für ehrenamtliches Engagement reichen die Kapazitäten der meisten Geschäftsinhaber*innen nicht aus. Außerdem haben viele keine Vorstellungen mehr davon, was sie an ihrem Standort eigentlich erreichen wollen; die Einflussfaktoren sind mittlerweile zu unübersichtlich und Visionen durchzusetzen, ist schwierig geworden.
Sonnenallee
KS: Wie würden Sie einem Berlin-Besucher die Sonnenallee kurz beschreiben?
mpr: Die Sonnenallee ist eine lebendige Straße und ein Seismograph dafür, wie Integration aussehen kann; dafür, wie Einheimische und Migranten friedlich miteinander umgehen und zusammenleben können. Die Sonnenallee steht in den Reiseführern, ist dynamisch, ohne größere Drogenprobleme wie rund um das Kottbusser Tor und auch nicht politisch belegt. Aber auch an der Sonnenallee ist das ehemalige „Piefke-Dorf“ West-Berlin zu einer temporeichen Weltstadt geworden, was manch einen vielleicht auch überfordert.
KS: Was sind Ihre Empfehlungen für einen Besuch an der Sonnenallee?
mpr: Man sollte unbedingt der Sonnenallee einen Besuch abstatten, wenn man die Unterschiede zwischen arabischer und türkischer Baklava kennenlernen möchte.
KS: Wir danken für das Gespräch!
Interview: Ann-Christin Rolfes-Bursi und Stephanie Otto