Im  Broadway Nº 11 – 2019/2020  nehmen wir das Thema „Vielfalt“ beim Wort: Von den ganz unterschiedlichen Voraussetzungen für ein gelingendes Zusammenleben in Vielfalt, über die Vielfalt der Flächennutzung im Handel, tierische Artenvielfalt, queeres Leben, Vielfalt der Kulturen und Religionen und weitere vielfältige Aspekte des Lebens und Arbeitens im Bezirkszentrum Karl-Marx-Straße.

Shalom Rollberg – Ein Projekt für Vielfalt und Respekt im Kiez

„Glaubt doch, was ihr wollt… Wir glauben vor allem an eines: an ein friedliches Miteinander!“ ist das Leitbild des Projekts „Shalom Rollberg“, das vom Verein MORUS 14 e.V. getragen wird. „Shalom Rollberg“ ist seit 2013 fester Bestandteil der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen hier. Über das Projekt sprachen wir mit dem Leiter Yonatan Weizman.

Mit Schülerhilfe, Gruppenarbeit und Veranstaltungen initiiert „Shalom Rollberg“ interreligiöse Begegnungen und den respektvollen Umgang zwischen Menschen verschiedener Religionen, Kulturen und Lebensstilen. Vor allem muslimische Neuköllner*innen lernen hier von ehrenamtlichen jüdischen Mentor*innen und begegnen sich auf diese Weise ganz selbstverständlich. Im Oktober 2019 erhielt das Projekt beim „Deutschen Nachbarschaftspreis“ den 3. Preis.

Herr Weizman, warum wurde das Projekt „Shalom Rollberg“ ins Leben gerufen?

Im Laufe der Arbeit von MORUS 14 wurde immer deutlicher, dass viele Vorurteile gegenüber Juden existieren, es hier aber kaum Juden gibt. So ist es ja meistens: die Vorurteile sind dort am größten, wo man am wenigsten in Berührung miteinander kommt. Das Gegenteil von Hass ist, sich und seine unterschiedlichen Hintergründe kennenzulernen. Hier im Rollbergviertel bleiben die Kinder viel zu oft unter sich und lernen wenig von der Welt „dort draußen“ kennen. Es ist eine sehr homogene Bevölkerungsstruktur. 

Ansatz unseres Projektes ist nicht: komm und triff einen Juden, sondern unser Angebot ist verbunden mit dem hier vorhandenen pädagogischen Bedarf. Die Kinder und Jugendlichen kommen, um zu lernen und unterhalten zu werden. Sie bekommen, was Kinder meistens suchen: Liebe und Unterstützung von Erwachsenen. Normalerweise wird mit den jüngeren Kindern nicht über Politik geredet. Mit den älteren Jugendlichen sieht es schon anders aus, denn diese schnappen z. B. im Fernsehen oder zuhause doch so einiges auf und stellen Fragen. Auch an mich wurde schon die Frage gestellt, warum hast du mein Land gestohlen.

Und wie reagieren Sie dann darauf?

Ich bin überzeugt, dass die verschiedenen Meinungen gehört werden sollen. Ich antworte in solchen Fällen, was ich dazu denke und versuche immer, eine höfliche Diskussion zu ermöglichen. Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht. Ein Streit zu unterschiedlichen Positionen ist bei meiner Arbeit noch nie eskaliert.

Kunstgruppe

Kunstgruppe © Morus 14 e.V.

Kung-Fu Gruppe

Kung-Fu-Lehrer Shem Stoler aus Tel Aviv übt mit den Kindern Grundlagen des Kung Fu © Morus 14 e.V.

Wie kann Ihrer Meinung nach das interkulturelle bzw. inter­religiöse Miteinander gelingen?

Vorurteile entstehen, wenn Leute sich nicht begegnen. Im Mittelpunkt stehen die Kinder, die gerne hier sein sollen. Wir machen ihnen ein Angebot: hier ist ein Erwachsener, der Zeit hat, mit dir Dinge zu unternehmen, die dir Spaß machen, und über Sachen zu reden, die dir wichtig sind. 

Das Rollbergviertel hat einen bestimmten Ruf. Unsere Mentor*innen sind oft überrascht, dass sie hier auf ganz normale Kinder treffen. Wir haben keine Probleme mit Rassismus oder Kleinkriminalität, sondern mit fehlender Bildung. Wir möchten die Welt zu den Kindern bringen und sie neugierig darauf machen. Damit sind wir meiner Erfahrung nach recht erfolgreich. 

Ich selbst fühle mich sehr wohl hier und habe noch nie Angriffe gegen mich erlebt. Dennoch: Antisemitismus existiert – nicht nur bei Muslimen, sondern in ganz Deutschland. Projekte wie unseres benötigt man überall. 

Wer engagiert sich bei Shalom Rollberg?

Es gibt viele Israelis, die sich einbringen und in ihrer Freizeit etwas Sinnvolles tun möchten. Ein großer Teil meiner Arbeit ist die Akquise Freiwilliger. Ich mache dafür intensive Öffentlichkeitsarbeit. Zudem habe ich gute Kontakte in die israelische Community. In den vergangenen sechs Monaten kommen auch immer mehr Anfragen von selbst. Schwierig ist allerdings, dass für eine Mitarbeit bei uns in der Regel gute Deutschkenntnisse benötigt werden.

Fassadenkunst

Ein weiteres interkulturelles Projekt in Neukölln: „A Door Facing a Door“, Fassadenmalerei Neckarstr. 19, im Rahmen des Projekts „Among Refugees Generation Y“ © Morus 14 e.V.

Wer sind Ihre Kooperationspartner im Bezirk?

Ich arbeite eng mit der Regenbogenschule zusammen. Hier läuft seit 15 Jahren das Projekt „PriiL“ zum interkulturellen und interreligiösen Lernen. In den vierten Klassen werden in zwei Unterrichtsstunden pro Woche verpflichtend für alle die Religionen Islam, Christentum, Judentum sowie die humanistische Weltanschauung gelehrt. Es werden aber auch Theaterstücke erarbeitet und künstlerisch gearbeitet. Am Ende jeder Einheit besuchen die Kinder eines der Gotteshäuser. Ich bin dort der Lehrer für das Judentum.

Sie haben kürzlich den 3. Preis des Deutschen Nachbarschaftspreises gewonnen. Was bedeutet die Auszeichnung für Ihre Arbeit?

Der Preis ist Anerkennung und Bestätigung unserer Arbeit. Auch über die finanzielle Zuwendung freuen wir uns, denn wir finanzieren uns über Spenden. Wir würden gerne wachsen, erst an anderen Standorten in Neukölln, dann in anderen Berliner Bezirken und dann auch darüber hinaus. 

Welche weitere Unterstützung wünschen Sie sich?

Am dringendsten benötigen wir mehr finanzielle Unterstützung. Wir freuen uns sehr, dass wir durch die STADT UND LAND viele Räume im Viertel nutzen können. Diese Zusammenarbeit ist wirklich sehr gut. Und: wir brauchen mehr Ehrenamtliche. Auch das Netzwerk Schülerhilfe vom MORUS 14 sucht laufend qualifizierte Helfer*innen mit Deutschkenntnissen und Zeit, sich bei uns zu engagieren. 

Herr Weizman, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Interview: Stephanie Otto, raumscript

Portraitfoto

© Morus 14 e.V.

Yonatan Weizman ist in Israel geboren und lebt seit zehn Jahren in Berlin. Er ist der „Liebe wegen“ nach Deutschland gekommen und hat in Neukölln seine neue Heimat gefunden. Er sagt, das Beste seiner Arbeit hier sei, dass sie ihm geholfen habe, sich in Berlin zu integrieren und ein Teil der Gesellschaft zu werden. 

Shalom Rollberg
Förderverein Gemeinschaftshaus MORUS 14 e.V.
Werbellinstraße 41, 12053 Berlin, Tel. 030 / 68 08 61 10 

shalom-rollberg@morus14.de
www.shalom-rollberg.de