Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #12 – 2025, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.
Stand Dezember 2025
Die Beleuchtung des öffentlichen Raums
Wie kaum eine andere Innovation führte die künstliche Beleuchtung nicht nur zu weitreichenden Veränderungen im Erscheinungsbild von Städten, sondern auch im menschlichen Zusammenleben. Sie eröffnete neue Schauplätze, veränderte Alltagsrhythmen und legte den Grundstein für die moderne Großstadt. Vor allem Geschäftsstraßen entwickelten sich Anfang des 19. Jahrhunderts zu neuen Aufenthaltsräumen des nächtlichen urbanen Lebens. An ihnen ließen sich die neuen sozialen Praktiken der modernen Großstadt besonders gut ablesen. Dazu zählten das Flanieren durch die beleuchtete Stadt, das Betrachten von Schaufenstern und die Entstehung eines neuen Sozialtypus, dem (zumeist männlichen) „Nachtschwärmer“.
Weihnachtsbeleuchtung in der Karl-Marx-Straße, 1962
Die Ursprünge der organisierten Straßenbeleuchtung gehen bereits auf das 17. Jahrhundert zurück. Doch damals leuchteten nur einzelne Laternen, lediglich in den Stadtzentren und auch nur in den Wintermonaten. Zudem waren sie mit Kerzen oder Öl betrieben, leuchteten nicht besonders hell und mussten manuell angezündet werden. Damals überwachte die Außenbeleuchtung noch der Polizeipräsident, weil sie in erster Linie der Sicherheit und Kontrolle diente. Erst im Zuge der Industrialisierung gelang der Durchbruch von neuen Beleuchtungstechniken und -infrastrukturen, die die Großstädte revolutionieren sollten. Sie sorgten Anfang des 19. Jahrhunderts für die schrittweise Einführung einer zentralen Beleuchtung mit Öl und Gas in allen europäischen Städten. In Berlin geht die Einführung der infrastrukturellen Außenbeleuchtung auf die Beauftragung eines englischen Unternehmens im Jahr 1826 zurück, das bereits zwölf Jahre zuvor für die Beleuchtung der Londoner Straßen gesorgt hatte. Nach Ablauf des Vertrags übernahm die Stadt die Gasversorgung und -beleuchtung zunehmend selbst. Mit der Gründung der Städtischen Gasanstalt Berlin im Jahr 1844 hatte erstmals ein Berliner Unternehmen das entsprechende Vorrecht erhalten. Nach und nach setzte sich das Gaslicht durch und verdrängte bis 1850 fast alle Öllaternen aus dem Stadtbild. Ab den 1880er Jahren trat schließlich die Elektrizität in Konkurrenz zum Gaslicht. Im Jahr 1884 wurde mit den Städtischen Elektricitäts-Werken das erste deutsche Elektrizitätsversorgungsunternehmen gegründet, das als Vorreiter des heutigen Stromnetzes Berlins gilt. Mit der Entwicklung elektrischer Schaufenster- und Leuchtreklamen in den 1910er Jahren nahm die Außenbeleuchtung schließlich zunehmend kommerzielle und kulturelle Ausprägungen an. Dieser Prozess kulminierte in den 1920er- und 1930er Jahren schließlich in spektakulären großstädtischen Lichtinszenierungen.
Frühe Gaslaternen in der Karl-Marx-Straße (ehemals Berliner Straße)
Während Berlin Mitte des 19. Jahrhunderts noch als „öde und provinziell“ galt und sich das infrastrukturelle Know-how aus England holte, zählte es ein paar Jahrzehnte später bereits zu den modernsten und schillerndsten Großstädten Europas. Ein Grund dafür war nicht zuletzt die Beleuchtung des öffentlichen Raums: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gehörte Berlin zu den am besten beleuchteten Städten des Kontinents.
Revolutionär waren nicht nur die rasante Entwicklung des Stromnetzausbaus, sondern auch die neuen Lichtqualitäten, die sich aus der neuen Technik ergaben. War das Gaslicht bis zur Erfindung des elektrischen Lichts das bis dato am hellsten leuchtende Licht, besaß es dennoch die lebendige Qualität, die von der offenen Flamme ausgeht. Es erschien damit warm und atmosphärisch. Zudem wurde eine gewisse Nähe zwischen beleuchtetem Objekt und Lichtquelle aufrechterhalten. Mit der Erfindung des weitaus helleren elektrischen Lichts änderte sich dies schlagartig. Plötzlich eröffneten sich viel größere Entfernungen zwischen Lichtquelle und den Objekten. Zudem gab das elektrische Licht kühlere Farbtemperaturen ab und sorgte für eine „Erstarrung“ des Lichts. Das Gaslicht, das bis dahin noch als modern und fortschrittlich galt, wurde daraufhin als „schmutzig“ und veraltet wahrgenommen. Das elektrische Licht veränderte damit auch die Dimensionen der nachts wahrnehmbaren Stadt.
Der beleuchtete Mercedes-Palast in der Hermannstraße während des Lichtfestes 1928
Wurden Einkaufsstraßen Ende des 19. Jahrhunderts noch mit dem Erscheinungsbild eines prunkvollen, aber intimen Saals verglichen, erschlossen sich mit dem elektrischen Licht zu Beginn des 20. Jahrhunderts vollständig neue Kulissen. Dieses zunehmend kommerziell eingesetzte, weit weg scheinende Licht verselbstständigte sich somit zu einer eigenen Sphäre und sprengte die bis dahin gewohnten Distanzen.
Obwohl die Einführung elektrischer Beleuchtung aus diesen Gründen nicht ausschließlich positiv bewertet wurde, avancierte sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum neuen Symbol von Modernität und Fortschritt. In Großstädten wurde sie daher bewusst zur Selbstdarstellung einer zukunftsweisenden Metropole inszeniert. Vor allem Berlin sorgte damit für große Anziehungskraft, denn die Beleuchtung des öffentlichen Raums war eng verbunden mit der Entstehung eines pulsierenden Nachtlebens, welches die Stadt berühmt und berüchtigt machte. Berlin wurde als Ort propagiert, der einen modernen Lebensstil und sogar einen „neuen Menschen“ hervorbringen würde.
Das Kaufhaus Karstadt bei Nacht, 1930er Jahre
Einen besonderen Höhepunkt in Sachen Lichtinszenierung stellten aufwendige Lichtfeste dar, mit denen für Berlins Modernität geworben wurde. Ein Beispiel hierfür war „Berlin im Licht“, ein Lichtfest, das 1928 von der Stadtverwaltung, der Beleuchtungsindustrie sowie den Handelskammern und Verbänden gemeinsam durchgeführt wurde. Während dieser „Licht-Kampagnen“ wurden Schaufenster, Lichtreklamen und Gebäude mit modernsten Beleuchtungstechnologien in Szene gesetzt. Damit sollte die öffentliche Akzeptanz des elektrischen Lichts gefördert und Wissen über dessen weitreichende Möglichkeiten vermittelt werden.
Auch in Neukölln wurden im Rahmen von „Berlin im Licht“ zahlreiche Schauplätze inszeniert. Dazu gehörte beispielsweise der ehemalige Mercedes-Palast, ein Filmtheater mit 2.500 Plätzen in der Hermannstraße 214–216. Neukölln, das seit der Eingemeindung im Jahr 1920 zu Berlin gehörte, galt zu dieser Zeit aus städtebaulicher Sicht als eines der innovativsten Gebiete der Stadt. Der Mercedes-Palast und das 1929 fertiggestellte Kaufhaus Karstadt zählten damals zu den jeweils größten Bauten ihrer Art in Europa. Doch „nirgendwo in Berlin wurde eindrucksvoller als in Neukölln demonstriert, wie nahe in den vermeintlich goldenen Zwanzigern Glamour, Vergnügen, Armut, Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit beieinanderlagen“, heißt es in einer Publikation des Museums Neukölln (siehe Quellenangaben). Denn so fortschrittlich Neukölln in städtebaulicher Hinsicht war, so einkommensschwach war seine damalige Bevölkerung. Auch wenn der Kinopalast in der Hermannstraße als erschwingliches Volkstheater seine Eintrittspreise an die gering verdienende Arbeiterschaft anpasste, galt die glamouröse Außenwirkung vor allem einem: der Inszenierung einer fortschrittlichen Weltstadt.
Modernisierte Schaufenster des Eisenwaren- und Haushaltsgeschäfts „Gustav Kiessling“ in der Berliner Straße, um 1905 und in den 1950er Jahren
Eine eindrucksvolle Lichtinszenierung setzte sich bei der Errichtung des Kaufhauses Karstadt am Hermannplatz fort, das vor allem auch mit seinen überwältigenden Dimensionen beeindruckte. Die beiden 56 Meter hohen Türme wurden zusätzlich von 15 Meter hohen Lichtsäulen bekrönt. Stilistisch war es von der US-amerikanischen Hochhausarchitektur beeinflusst. An beiden Gebäuden wurde Licht eingesetzt, um die moderne Geradlinigkeit der Baukörper zu betonen. Es wurde somit als Teil der Fassadengestaltung eingesetzt. Nachts leuchtete das Kaufhaus nicht nur kilometerweit, sondern der Baukörper des Kaufhauses schien sich sogar vollständig aufzulösen.
Licht entwickelte sich somit zunehmend zum architektonischen Gestaltungs-, wenn nicht sogar zum zentralen Bauelement. Die allmähliche Aufwertung des künstlichen Lichts und die damit einhergehende zunehmende Kommerzialisierung des Stadtraums spiegelten sich damit nicht nur in der Verbreitung der Lichtreklame, sondern auch in der Entwicklung und Gestaltung der modernen Architektur wider. In diesem Zusammenhang folgten viele Geschäftsumbauten, die schwerpunktmäßig auf die Nachtwirkung ausgerichtet waren. Im Zentrum stand dabei stets, neue Impulse zu setzen, den Wirtschaftsgeist der Hauptstadt zum Ausdruck zu bringen und die „Weltstadtbildung“ voranzutreiben. Auch wenn auf diese hell leuchtende Zeit dunkle Jahre des Krieges folgten, wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts innovative Impulse für die weitere Entwicklung der künstlichen und kommerziellen Beleuchtung im Stadtraum gesetzt. Die Tendenz, den Handel und Konsum aufwendig zu inszenieren, wurde in der Nachkriegszeit, zumindest in West-Berlin, unter einer ähnlichen Weltanschauung wiederaufgegriffen.
Carolina Crijns
Verwendete Literaturquellen:
Lichtblicke, Wolfang Schivelbusch, 1983.
Berlin im Licht, Franziska Nentwig (Hrsg.), Stiftung Stadtmuseum Berlin, 2008.
Die Stadt im Licht: Städtische Beleuchtung als Infrastruktur, Uwe Hasenöhrl,
in: Informationen zur modernen Stadtgeschichte, Baumeister et al., 2015.
Großstadt Neukölln: 1920–2020, Udo Gößwald (Hrsg.), Museum Neukölln, 2020.