Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #12 – 2025, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.

Stand Dezember 2025

Neukölln unter Strom

Das Berliner Stromnetz wird bis 2033 doppelt so leistungsfähig

Die Kapazität des über 140 Jahre gewachsenen Berliner Stromnetzes soll binnen 10 Jahren verdoppelt werden. Das bedeutet, dass nicht nur mehr Strom erzeugt wird, sondern auch, dass mehr Strom durch die Leitungen fließen können muss. Aus diesem Grund muss die gesamte elektrische Infrastruktur umfangreich modernisiert und erweitert werden. So auch in Neukölln, wo aktuell zahlreiche Sanierungsarbeiten an Netzknoten und Umspannwerken durchgeführt werden.

Zu einem sicheren Stromnetz gehört der kontinuierliche Ausbau auf allen infrastrukturellen Ebenen. Die Energie- und Wärmewende, der Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektromobilität sowie der Bau neuer Wohnquartiere und Rechenzentren erfordern in den nächsten Jahren allerdings einen Anstieg der Netzkapazität in Berlin von 2,2 auf mehr als 4 Gigawatt. Wie soll das in so kurzer Zeit gelingen?

Beispielhafter Aufbau eines Umspannwerks (© Stromnetz Berlin)

Die aktuelle Herausforderung, die Kapazität in kurzer Frist von 2024 bis 2033 verdoppeln zu müssen, ist die Folge einer fehlenden energiepolitischen Prioritätensetzung und von verpassten Ausbaumaßnahmen in der Zeit, in der sich das Berliner Stromnetz noch in privater Hand befand. Denn das städtische Unternehmen Bewag wurde vor 24 Jahren an Vattenfall verkauft. Seitdem unterblieben nicht nur notwendige Netzausbauprojekte, sondern es wurden auch wichtige Grundstücke verkauft. Es besteht also ein hoher Aufholbedarf, gleichzeitig fehlen jedoch an einigen Stellen im Stadtgebiet die Flächen, die einen Ausbau ermöglichen würden. Dies stellt das seit 2021 wieder landeseigene Unternehmen Stromnetz Berlin vor zeitliche und räumliche Herausforderungen. Letzteren kann jedoch nicht immer mit dem Ankauf neuer Grundstücke begegnet werden, da diese insbesondere in Quartieren mit dichter Innenstadtbebauung oft nicht in geeigneter Form zur Verfügung stehen.

Schematische Darstellung der denkmalgerechten Erweiterung des Umspannwerks Ecke Richardstraße/Jan-Hus-Weg (© Stromnetz Berlin)

Doch was genau gehört eigentlich zur Infrastruktur des Berliner Stromnetzes und wie gelangt der Strom in unsere Steckdosen? Berlin erzeugt nur einen geringen Teil des benötigten Stroms selbst und importiert etwa 60 bis 70 Prozent aus dem Um- und Ausland, beispielsweise erzeugt in Windparks an Land und auf See im Nordosten Deutschlands oder in Solar­anlagen. Der Strom gelangt dabei über das vorgelagerte Höchstspannungsnetz mit 380 Kilovolt nach Berlin. Bei Höchstspannung entstehen geringere Verluste bei der Übertragung und es wird weniger Material für die Stromleitungen benötigt. Bevor der Strom jedoch in die Haushalte gelangt, muss die Spannung wieder reduziert werden, da unsere Haushaltsgeräte lediglich 230 Volt vertragen. Dies geschieht zunächst über Umspannwerke am Berliner Stadtrand (zumeist Freiluftanlagen), die die Spannung auf 110 Kilovolt reduzieren. Mit dieser Hochspannung wird der Strom in das Berliner Netz eingespeist und an sogenannten Netzknoten weiterverteilt. Sie stellen eine sehr hohe Verfügbarkeit von Strom sicher und bieten einen großen Gestaltungsspielraum für die Lastaufteilung im Netz. Von den 17 Netzknoten in Berlin gelangt der Strom zu industriellen Großkunden beziehungsweise zu Umspannwerken, die ihn auf eine Mittelspannung von 10 Kilovolt reduzieren. In Berlin gibt es 71 dieser Umspannwerke, drei davon befinden sich in Nord-Neukölln. Eins davon liegt direkt im Sanierungsgebiet und zwei grenzen direkt daran an. Sie verteilen den Strom an die umliegenden Stadtgebiete, wo er an stadtweit ca. 17.000 sogenannten Netz- beziehungsweise Kundenstationen letztmalig in eine Niederspannung von 400 Volt transformiert wird. Von dort gelangt der Strom über Kabelverteilerschränke zu den Hausanschlüssen. Über die Stromzähler fließt die Energie mit sogenanntem Drehstrom (400 Volt) für Induktionsherde oder Lichtstrom (230 Volt) für Haushaltsgeräte schließlich in die Steckdose.

Vom Übertragungsnetz bis zur Steckdose (© Stromnetz Berlin)

Von allen Infrastruktureinrichtungen fallen die Netzstationen und Kabelverteilerschränke im Stadtraum angesichts ihrer hohen Anzahl am ehesten auf. Alle anderen Einrichtungen sind oft wenig auffällig gestaltet und in vorhandene städtebauliche Strukturen eingebettet, sodass sie meist kaum wahrgenommen werden. Das Stromnetz selbst verläuft in Berlin zu 99 Prozent unterirdisch. Dies dient nicht zuletzt der Sicherheit, da freiliegende Leitungen viel leichter angreifbar sind. Besonders anschaulich hat das der 60 Stunden lange Stromausfall in Treptow-Köpenick Mitte September 2025 gezeigt. Denn dieser wurde durch einen Brandanschlag auf zwei Freileitungsmasten verursacht. Aus diesem Grund sollen auch die verbleibenden oberirdischen Leitungen in den nächsten Jahren unterirdisch verlegt werden.

In dicht bebauten Stadtteilen wie Nord-Neukölln stellen begrenzte Platzverhältnisse und die Berücksichtigung angrenzender Nutzungs- und Bebauungsstrukturen oft eine besondere Herausforderung für die Erneuerung und Erweiterung bestehender Einrichtungen der Strominfrastruktur dar. Zu den aktuellen Sanierungsarbeiten des Berliner Stromnetzes in Neukölln zählt unter anderem der Netzknoten an der südlichen Karl-Marx-Straße, der bei laufenden Anlagenbetrieb modernisiert wird. Hierzu werden die bestehenden Garagen und das Bürogebäude abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Der Abriss dieser Gebäude hat im Oktober 2025 begonnen. Ab 2034 soll die neue Technik zum Einsatz kommen. Erst danach kann die alte Infrastruktur abgebaut werden.

Versorgungsleitungen im Berliner Boden in unterschiedlichen Tiefen (© Stromnetz Berlin)

Das Umspannwerk in der Rollbergstraße wird seit 2021 schrittweise durch einen Neubau ersetzt. Aufgrund der begrenzten Platzverhältnisse wurde hier abweichend vom Standard ein Hochbau mit vier Etagen vorgesehen, weshalb die neuen leistungsfähigeren Transformatoren aufwendig über das Dach eingehoben und gestapelt werden mussten. Dies war eine technisch herausfordernde Aufgabe. Das neue Gebäude soll bis 2026 fertiggestellt sein und wird eine Fensterfront erhalten, um sich besser in die Umgebung einzupassen. Ab 2027 kann schließlich mit dem Rückbau des Bestandsgebäudes begonnen werden.

Das 1973 in Betrieb gegangene, begrünte Umspannwerk an der Ecke Richardstraße/Jan-Hus-Weg soll bis 2030 modernisiert und erweitert werden. Es soll in Zukunft auch einen Teil der Wärmebereitstellung übernehmen. Die Besonderheit hier ist, dass der vorgesehene rückwärtige Erweiterungsbau in Abstimmung mit der Denkmalpflege im Scheunenstil errichtet wird. Dadurch wird das Erscheinungsbild des Denkmalensembles der historischen Bauernhaus- und Scheunenzeile entlang der Kirchgasse, die Teil des Böhmischen Dorfes ist, aufrechterhalten. Auch hier werden im laufenden Betrieb die bestehenden Anlagen durch leistungsstärkere ersetzt und neue Kabelsysteme verlegt. Die erste Bauphase hat 2024 begonnen. Für das ebenfalls Anfang der 1970er Jahre errichtete Umspannwerk in der Weserstraße zwischen dichter Wohnbebauung und dem Campus Rütli bestehen hingegen derzeit noch keine konkreten Planungen.

Aufwendiger Trafo-Einhub beim Umspannwerk Rollbergstraße (© www.DieFotoGrafen.de)

Im Übrigen hat das baulich sicherlich markanteste Umspannwerk im Sanierungsgebiet an der Richardstraße 20-21 seine Funktion bereits vor anderthalb Jahrzehnten verloren und ist an einen privaten Eigentümer verkauft worden. Dieser Bau wurde zwischen 1926 und 1928 von dem Bewag-Architekten Hans Heinrich Müller errichtet und steht mit seiner an sakrale Architektur anspielenden dunkelroten Klinkerfassade unter Denkmalschutz. Ein 2015 erarbeitetes Blockentwicklungskonzept zur Konkretisierung der Sanierungsziele sieht in Abstimmung mit der Denkmalpflege für dieses Gebäude künftige Wohnnutzung vor, im Erdgeschoss und 1. Obergeschoss auch eine kulturelle Nutzung. Im hinteren Grundstückbereich ist ein Neubau in Form eines maximal fünfgeschossigen Wohnungsneubaus denkbar. Derzeit laufen Abstimmungen zwischen dem ­jetzigen privaten Eigentümer und dem Bezirk.

Carolina Crijns, Alexander Tölle

Weitere Informationen

Informationen zu den langfristigen Baumaßnahmen der Stromnetz Berlin GmbH erhalten Sie unter: www.stromnetz.berlin