Im  Broadway Nº 11 – 2019/2020  nehmen wir das Thema „Vielfalt“ beim Wort: Von den ganz unterschiedlichen Voraussetzungen für ein gelingendes Zusammenleben in Vielfalt, über die Vielfalt der Flächennutzung im Handel, tierische Artenvielfalt, queeres Leben, Vielfalt der Kulturen und Religionen und weitere vielfältige Aspekte des Lebens und Arbeitens im Bezirkszentrum Karl-Marx-Straße.

Artenvielfalt – Menschen, Vögel und Bienen im gleichen Zuhause

Stadt und Natur werden häufig als Gegensatz verstanden. Was viele dabei nicht wissen: Städte weisen oftmals eine höhere Artenvielfalt auf als ländliche Gebiete. Durch ihre diversen Lebensräume schaffen sie ökologische Nischen und beherbergen eine Vielzahl von Flora und Fauna. Berlin gilt sogar als eine der artenreichsten Großstädte in Europa. Im Bereich Artenschutz sind es Vögel und Fledermäuse, die besonders beachtet werden müssen. Bienen übernehmen z. B. die Bestäubungsleistung der vielen Straßenbäume – auch im Zentrum Karl-Marx-Straße.

Turmfalke

Turmfalke über den Dächern Neuköllns © Bezirksamt Neukölln

Wer denkt, Vögel nisten nur in Bäumen, hat weit gefehlt. Ganz im Gegenteil: Besonders unsanierte Gebäude bieten unter anderem Sperling, Rotschwanz oder Mauersegler ein Zuhause. Was in der freien Natur die Felsspalten sind, sind in der Stadt die Löcher und Spalten z. B. an unsanierten Gebäuden. Im Unterschied zu den meisten baumbrütenden Arten, wie z. B. Amseln, suchen die gebäudebrütenden Vögel ihren einmal gefundenen Nistplatz jedes Jahr wieder auf. Dies gilt übrigens auch für die Fledermäuse.

Damit stellen z. B. energetische Gebäudesanierungen im Gebiet für den Artenschutz dieser fliegenden Mitbewohner eine Herausforderung dar. Um ihnen dennoch ausreichend Schutz zu bieten, gibt es entsprechende Verordnungen. So darf während einer laufenden Brut nicht saniert werden. Wurde ein Vogel am Gebäude gesichtet, stellen Vogelexpert*innen, so genannte Ornithologen, vor der Sanierung in einem Gutachten fest, ob und welche Arten am Gebäude nisten. Sollte in einem Gebäude auch die Lebensstätte eines geschützten Vogels sein, muss hier im Zuge einer Sanierung eine künstliche Ersatzniststätte angebracht werden. Übrigens: Besonders der in Berlin sehr verbreitete „Spatz“ mag es gerne unordentlich und ist vielleicht auch deshalb ein „echter Neuköllner“.

Spatzen

Der Spatz ist ein Gebäudebrüter © Betexion, Pixabay

Doch nicht nur kleine Vögel sind im Gebiet zu sichten, auch Fledermäuse halten sich gerne in der Gegend auf, wie z. B. beim Klunkerkranich, auf dem Dach der Neukölln Arcaden. Und wer am Tempelhofer Feld schon mal einen Turmfalken auf der Jagd beobachtet hat, gut zu erkennen am Rüttelflug dieses Raubvogels und dabei fast in der Luft stehend, und sich gefragt hat, wo dieser herkommt: Sie finden seit vielen Jahren in mehreren Nistkästen im Turm des Rathauses Neukölln einen Unterschlupf. Seit die Kästen in den 1980er und 1990er Jahren fest installiert wurden, schlüpfen dort, wie auch an der Kirche St. Clara in der Briesestraße, im Frühjahr regelmäßig Turmfalkenküken.

In der wachsenden Stadt wird auch der Artenschutz schwieriger. Um im dichten Zentrum Karl-Marx-Straße neue Nischen zu schaffen, sind Bepflanzungen der Balkone mit Blütenpflanzen, die Entsiegelung und insektenfreundliche Bepflanzung von Hofflächen, Dach- und Fassadenbegrünungen oder auch die Winterfütterung der Vögel sinnvoll. Weitere Anregungen gibt hierzu auch die „Berliner Strategie zur Biologischen Vielfalt“. 

Imkerei

Imker Caspar Schöning an seinen Bienenstöcken im Café Botanico © Bergsee, blau

Eng verwoben, gilt gleiches auch für den Erhalt und die Förderung der Bienen. Während die Wildbienen eher Einzelgänger sind, schließen sich die Honigbienen zu großen Völkern zusammen und werden als Nutztiere von Imkern gehalten, die dann den Honig ernten. Berlin ist reich an Bienenvölkern und Imkern. Im bundesdeutschen Vergleich findet sich hier die höchste Dichte der Bienenzucht. Einer von ihnen ist Caspar Schöning, der seine Bienenstöcke vor allem in Neukölln, unter anderem im Garten des Café Botanico in der Richardstraße und auf dem Schulhof der Evangelischen Schule Neukölln in der Mainzer Straße – hier ist er auch Lehrer – aufgebaut hat. 

Imkern braucht Leidenschaft und gute Kenntnis, um die Bienenvölker gesund zu halten. Caspar Schöning hat das Imkern im Länderinstitut für Bienenkunde gelernt. Circa 100 Gläser Honig produziert jedes seiner Bienenvölker pro Jahr in einer guten Saison. Die Honigbienen fliegen jene Blumen und Bäume an, deren Blüten viel süßen Nektar bereitstellen. Das sind im Norden Neuköllns vor allem die vielen Straßenbäume – Ahorn, Rosskastanie, Robinie, und im Spätsommer die Linden. Die Artenvielfalt der Pflanzen freut wie die Vögel auch alle Bienen und weiteren Insekten. Wie man an der Karl-Marx-Straße grüne Flächen schaffen kann, zeigt eindrucksvoll das Projekt „Rixroof“ auf dem Dach der RIXBOX auf dem Alfred-Scholz-Platz, das durch den Aktionärsfonds der [Aktion! Karl-Marx-Straße] gefördert wird. Der systematische Anbau von Kräutern und weiteren essbaren Pflanzen unterstützt dabei, das Zentrum Karl-Marx-Straße insekten- und bienenfreundlicher zu gestalten.

Leonie Laug, Stephanie Otto, raumscript, mit Dank an unsere Gesprächspartner Stephan Wiedemann und Caspar Schöning