Im BROADWAY #12 – 2020/21 wurde das Thema „Zusammen“ zum Leitgedanken gewählt. Die Corona-Pandemie fordert das Zusammen heraus, ganz besonders auch in Neukölln. Zusammenhalt ist nötiger denn je. Das Magazin betrachtet das „Zusammen“ aus unterschiedlichen Perspektiven, stellt gemeinsam gefundene Strategien vor, schaut auf gemeinschaftliche Projektentwicklungen im Zentrum Karl-Marx-Straße oder auf den Zusammenhalt über religiöse Grenzen hinweg.

Stand November 2020

Umbau inklusive – auf dem Weg zu einer barrierearmen Karl-Marx-Straße

Täglich bleiben Millionen Menschen von Teilen des öffentlichen Lebens ausgeschlossen. Sie können eine Straße nicht nutzen, ein Geschäft nicht erreichen, an einem U-Bahnhof nicht aussteigen, müssen Umwege gehen, viel Zeit einplanen. Sie stoßen auf Barrieren und werden dadurch oft massiv eingeschränkt, ihren Alltag „ganz normal“ zu leben.

Straßenkreuzung mit Markierungen

Farbige Fahrbahnmarkierungen erhöhen die Verkehrssicherheit

„Inklusion“ bedeutet hingegen, dass kein Mensch ausgeschlossen, ausgegrenzt oder an den Rand gedrängt wid. In einer inklusiven Gesellschaft ist es normal, dass es Unterschiede zwischen den Menschen gibt. Diese werden respektiert. „Demokratie braucht Inklusion“ ist deshalb auch der Leitsatz des Bundesbeauftragten für Menschen mit Behinderung, Jürgen Dusel. Auftrag ist es seiner Auffassung nach, auch die Stadt und Architektur lebenswert für alle zu machen. Das schließt Barrierefreiheit ein. Letztere beschreibt das „Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung“ (BGG) als „Zustand, in dem bauliche und sonstige Anlagen ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.“ Vor allem der öffentliche Raum muss für alle da und entsprechend gestaltet sein. „Design for all“ ist der Leitgedanke, mit dem die barrierefreie Gestaltung der Stadt auch in Berlin gefördert wird.

Rollstuhlfahrer

Barrierefreie Karl-Marx-Straße? Das war ein wichtiges Thema im Film „Ein blinder Fleck“ der Schulworkshops der [Aktion! Karl-Marx-Straße] 2019. © Leska Ruppert, Ralph Etter

Auch das Zentrum Karl-Marx-Straße soll für alle da sein. Mit dem aktuellen Umbau der Straße werden viele bisherige physische Barrieren abgebaut. Die Baustelle bedeutet jedoch zunächst eine noch größere Einschränkung, auch wenn hier ein Mindestmaß an Barrierefreiheit gewährleistet sein muss. Eindrücklich zeigt dies auch der Film „Ein blinder Fleck“, der mit Schülerinnen und Schülern bei den Schulworkshops der [Aktion! Karl-Marx-Straße] 2019 produziert wurde (abrufbar auch unter kms-sonne.mmserver.org/zentrum/schulworkshops). „Bin ich schon alt?“, „Wann werde ich es sein?“, wird ganz am Anfang des Films gefragt – fast alle von uns werden einmal in die Lage kommen, nicht mehr so gut zu hören, zu sehen oder die Beine nicht mehr richtig heben zu können. Aber wir müssen gar nicht erst alt werden. Wenn wir einen Kinderwagen schieben oder einen schweren Koffer durch die Straßen ziehen, wir die deutsche Sprache nicht beherrschen, es laut ist, wir gestresst sind oder wir die Gegend nicht kennen, behindern viele Barrieren unseren Weg.

Lego-Rollstuhlfahrer

Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, stehen manchmal vor unüberwindbaren Hindernissen. Die Internet­plattform www.wheelmap.org sammelt und zeigt in einem Stadtplan rollstuhlgerechte Orte nicht nur in Neukölln. © Andi Weiland, Sozialhelden e.V.

wheelmap.org

Wie aber wird durch den Umbau die Karl-Marx-Straße barrierefreier? Vor allem bekommt der Fuß- und Radverkehr durch den Umbau der Straße mehr Platz. Es gibt nach dem Umbau durchgehend eine Fahrradspur pro Richtung und breitere Seitenräume für den Fußverkehr. Sondernutzungen im Seitenraum, wie zum Beispiel Möbel der Gastronomie oder Werbetafeln, werden beschränkt, um die Gehwege so breit wie möglich zu lassen. Geh-, seh- und kognitiv eingeschränkte Personen erhalten neue bauliche Hilfen. Dazu gehören abgesenkte Bordsteine, kontrastreiche Straßenbeläge (Gehbahn, Unter- und Oberstreifen) und sogenannte Aufmerksamkeitsfelder an Stellen, an denen die Straße überquert werden kann. Dies hilft vor allem sehbehinderten Menschen. Es wurden zudem soweit wie möglich neue Bänke für nötige Verschnaufpausen aufgestellt. An der Bio Company wurde das Niveau des Gehwegs angeglichen und neue Aufzüge an der Kindl-Treppe und am U-Bahnhof Karl-Marx-Straße für all jene gebaut, für die das Treppensteigen schwierig ist.

Trotz all dieser Maßnahmen bleibt der Straßenquerschnitt der Karl-Marx-Straße aber begrenzt und wird immer wieder Nutzungskonflikte hervorbringen und Kompromisse nötig machen. Der vorhandene Platz reicht nicht aus für alle Interessen und alle Formen des Verkehrs. Deshalb müssen sich vor allem die schwächeren Verkehrsteilnehmerinnen und ­-teilnehmer auf eine breite Unterstützung der Politik, Verwaltung, aber auch private Projektentwicklungen sowie rücksichtsvolle Mitmenschen verlassen können.

Stephanie Otto, raumscript