Die 14. Ausgabe des BROADWAY steht unter dem Titel „Was wir können“. Die Beiträge zeigen exemplarisch, wie lebendige Angebote auch entgegen der aktuellen Krisen durch gemeinsames Wirken entstehen und erhalten werden können. Wir sprechen mit Gewerbetreibenden, Kulturschaffenden und sozial Engagierten entlang der Karl-Marx-Straße, widmen uns dem Thema der Müllvermeidung, geben einen Einblick in die gemeinwohlorientierte Gesundheitsversorgung und zeigen, wie sich ein inklusives Zusammenleben im Zentrum gestalten und von Vielfalt bereichern lässt.

Stand Juli 2023

Müll vermeiden

Mal ehrlich: beim Blick auf die Straßen im Zentrum Karl-Marx-Straße müsste zum Thema Müllvermeidung die Überschrift eher „Was wir könnten“ heißen. Dem Müll begegnen wir hier überall – achtlos weggeworfen und vom Winde verweht sammelt er sich in den Baustellen und Hauseingängen, steht herrenlos am Straßenrand und hinterlässt ein trauriges Bild sowie manch ratlose Menschen.

Schön wie wir

Bei den Tausch- und Sperrmüllmärkten von „Schön wie wir“ kann Großes und Kleines fachgerecht entsorgt werden, sollte es kein Interesse zur weiteren Nutzung mehr wecken. (Foto: Schön wie wir)

Es geht auch anders, so kommuniziert und regt es die Kampagne „Schön wie wir“ des Bezirksamts Neukölln an. Um dem Phänomen Müll in Neukölln etwas näher auf die Spur zu kommen, sprachen wir für diesen Beitrag mit Max Mauracher vom NEW STANDARD.STUDIO, das die Kampagne im Auftrag des Bezirksamts seit 2021 betreut. „Schön wie wir“ wurde 2016 mit dem Ziel ins Leben gerufen, die Neuköllner Kieze für alle sauberer, lebenswerter und nachhaltiger zu machen. Nachbarschaften, Gewerbetreibende, Schulen oder Vereine fanden zusammen, um gemeinsam im öffentlichen Raum aufzuräumen, Baumscheiben zu bepflanzen oder sich in der Umweltbildung zu engagieren.

Der Schwerpunkt der Kampagne liegt mittlerweile auf dem Thema Müllvermeidung, zu dem stetig neue Aktionen und Ideen entwickelt und umgesetzt werden. Diese richten sich noch stärker als bisher an die unterschiedlichen Zielgruppen wie zum Beispiel Spätis und Gastronomie, Schulen oder Unternehmen. Die Kampagne arbeitet mit vielen Organisationen und Vereinen im Bezirk zusammen und setzt auf eine mehrsprachige Ansprache. Es gibt viele Formate, die ausprobiert, wiederholt oder nach dem Prinzip „Trial and Error“ auch wieder aufgegeben werden. Sehr beliebt in der Bevölkerung sind die Tausch- und Sperrmüllmärkte, die in Kooperation mit der Berliner Stadtreinigung BSR durchgeführt werden. Hier können die Neuköllnerinnen und Neuköllner, bevor der Sperrmüll entsorgt wird, ihre Dinge zunächst zum Tausch anbieten. Bereichert werden die Märkte auch durch einen Reparaturstand, der kaputte Dinge wieder zum Leben erwecken kann. Alles, was nichts mehr bringt, landet im Entsorgungsfahrzeug und der Veranstaltungsplatz wird gründlich gereinigt. Weitere Veranstaltungen sind Nachhaltigkeitsfeste in den Kiezen, Ausstellungen und Workshops unter anderem zum Thema Upcycling oder Beratungen, z. B. von Gastronomiebetrieben zur Umstellung auf Mehrweg-Geschirr. Mit dem Teilprojekt „Spielplatz-Paten“ wurden Unternehmen gefunden, die dem Bezirk helfen, Spielplätze in Ordnung zu halten und Neukölln damit ein Stück kinderfreundlicher und lebenswerter zu machen. „Schön wie wir“ stellt zudem kostenlos Lastenräder zur Verfügung, um auch größere Gegenstände ohne Auto transportabel zu machen.

Schön wie wir

Das Maskottchen Lilo packt bei allen Aktionen von „Schön wie wir“ mit an (Foto: Schön wie wir)

Das sind viele Ansätze und doch bleibt es die Verantwortung von allen, die sich im Bezirk als Gäste, Gewerbetreibende, Angestellte oder Bewohnerinnen und Bewohner aufhalten, den öffentlichen Raum zu achten und nicht zuzumüllen. Neukölln und sein öffentlicher Raum werden zu oft als bloße Durchgangsstation betrachtet. Dinge einfach auf den Boden zu werfen, Hunde auf dem Weg und in den Baumscheiben ihr Geschäft verrichten zu lassen oder alten Hausrat an den Straßenrand zu stellen, ist vor allem im Norden des Bezirks für viele eine Sache der guten Gewohnheit geworden. Dabei ist wohlbekannt und auch wissenschaftlich untersucht: sobald das erste Stück Müll liegt, kommen sehr schnell weitere hinzu. Dunkle und ungenutzte Ecken werden dabei besonders gern genutzt. Gemeinsinn ist gefragt, denn das „Dreck-Image“ kann man nur gemeinsam loswerden. Dabei müssen vor allem jene erreicht werden, die nicht sowieso schon das richtige Gespür für den achtsamen Umgang mit dem öffentlichen Raum haben. Und hier stellen sich die Macherinnen und Macher von „Schön wie wir“ die Frage, wie diese Zielgruppen überhaupt erreicht werden können.

Schön wie wir

Nicht nur sauberer, sondern auch grüner – mit Unterstützung von „Schön wie wir“ werden Baumscheiben neu bepflanzt (Foto: Sophie Christ)

Müll ist das Symptom vieler unterschiedlicher Probleme in den Kiezen. Die Maßnahmen sollten sich daher enger daran orientieren, sonst bleiben alle Kampagnen langfristig nur Kosmetik. Die Umweltbildung sollte zum Beispiel schon früh in den Kitas und Grundschulen einsetzen, um der vielfachen Entfremdung von Natur und Umwelt etwas entgegenzusetzen. Und die Verwaltung sollte aktiv und deutlich ihre Haltung zum Thema Müll kommunizieren, damit sie wahrgenommen wird. Gleichzeitig muss der öffentliche Raum konsequent als angenehmer Aufenthaltsraum für die Menschen gestaltet werden. Dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er auch achtsam behandelt wird.

Stephanie Otto, raumscript, mit einem herzlichen Dank an Max Mauracher von der Kampagne „Schön wie wir“ im Auftrag des Bezirksamts Neukölln