Das Kaufhaus H. Joseph & Co.
(nachfolgend Hertie, Karl-Marx-Strasse 92)
Nach 1900 gründeten die jüdischen Kaufleute Hermann Joseph und Sally Rehfisch das Neuköllner Kaufhaus H. Joseph & Co. in den Räumen des ehemaligen „Varieté Cafés Germania“ und bauten es zunächst zu einem Mode-Warenhaus aus. Schnell wurde das Haus zum größten Kaufhaus Neuköllns – bis mit dem Bau von Karstadt am Hermannplatz ein neuer Warenhaustempel in Neukölln entstand. Nach der letzten Erweiterung 1928 nahm die neue und prächtige Jugendstilfassade die gesamte Straßenfront zwischen Neckar- und Jägerstraße (heute Rollbergstraße) ein. Hinter dem Haupteingang erstreckte sich ein großer Innenhof mit einem breiten, zentralen Treppenhaus unter einer Glaskuppel. Jenseits des vielfältigen Warenangebots wurde das Publikum mit kulturellen Veranstaltungen ins Haus gelockt.
Das Ende kam für die Geschäftsleute mit dem Nationalsozialismus. Ohne Entschädigung an die Eigentümer übernahm die Max Friedland GmbH 1936 das Grundstück. Im Krieg wurde das Gebäude weitgehend verschont. 1950 erhielten Hermann Joseph und die Erben seines Geschäftspartners ihren Besitz zurück und für zwei Jahre wurde hier das „Kaufhaus Neukölln“ eingerichtet. Die Morgenpost berichtete am 11. März 1950: „Der Straßenverkehr in der Karl-Marx-Straße war gestern kurz vor 15 Uhr gefährdet. So stark ballte sich eine tausendköpfige Menschenmenge vor der geräumigen Einkaufshalle des neuen Kaufhauses Neukölln (…). In weniger als sechs Wochen Umbauzeit entstand aus dem alten Hermann-Joseph-Haus, das dem Bezirksamt vorübergehend als kommunales Lebensmittellager gedient hatte, das zur Zeit größte Warenhaus Berlins mit 30 Schaufenstern, 8 Fahrstühlen und zwei Rolltreppen.“
1952 übernahm die Firma Hertie den Standort. Fünfzehn Jahre später brach auch architektonisch eine neue Zeit an und ein großer Umbau wurde beendet. Von der Jugendstilfassade war nichts mehr zu erkennen. Die Berliner Morgenpost schrieb im November 1967 unter dem Titel „Schlaraffenland mit Selbstbedienung“: „Aus alt mach neu im Berliner Tempo – Hertie Neukölln zeigt es seit Februar der staunenden Menge. Zuerst wurde das Kaufhaus in der Karl-Marx-Straße regelrecht ‚halbiert‘. In der einen Hälfte ging der Verkauf munter weiter, in der anderen wütete die Spitzhacke. Kaum war das letzte Stück Altbau beseitigt, rückten die Handwerker an. (…) Das Erdgeschoß mit 20 Abteilungen sowie das Tiefgeschoß sind fertig; strahlend hell, vollklimatisiert und durch einen Eingang mit Luftschleuse zu erreichen.“ 1968 erfolgte der Abriss von vier Wohnhäusern in der Rollbergstraße, um das Kaufhaus nochmals, vor allem durch ein Parkhaus für 700 Autos, zu erweitern. Zu diesem Zeitpunkt bot es eine Nutzfläche von 30.000 Quadratmetern und war damit das größte aller Berliner Hertie-Häuser.
1983 investierte der Hertie-Konzern nochmals 12 Millionen Mark in eine erneute Modernisierung des Hauses. Zu diesem Zeitpunkt waren hier rund 1.000 Mitarbeitende beschäftigt. Im Dezember 2005 schloss das traditionsreiche Haus. Cornelia Hüge schreibt in ihrem Buch „Die Karl-Marx-Straße, Facetten eines Lebens- und Arbeitsraums“: „Der Außenraum wirkte bald nur noch wie ein tristes Betonmonument, das den Niedergang im Neuköllner Stadtzentrum symbolisierte.“ Von 2008 bis 2010 entstand nach umfassenden Umbaumaßnahmen das heutige Büro- und Geschäftshaus, das als ein erstes Zeichen des neuen Aufbruchs in der Karl-Marx-Straße gedeutet werden kann.