Dies ist ein Artikel ist aus dem KARLSON #10 – 2023, der Zeitung für das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee.

Stand November 2023

Langsamer, leiser, verträglicher

Was beruhigt den Verkehr?

Die Wohn- und Lebensqualität in Stadtteilen und Kiezen hängt eng mit dem dort vorhandenen Verkehr zusammen. Der öffentliche Raum, der Straßen und Plätze einschließt, ist begrenzt. Er ist nicht für die Verkehrsströme ausgelegt, die sich heutzutage mal mehr mal weniger stockend durch die Straßen bewegen. Wenngleich sich motorisierter sowie Fuß- und Radverkehr den Straßenraum teilen müssen, so ist festzustellen, dass der motorisierte Individualverkehr im Verhältnis aller Verkehrsformen den meisten Platz beansprucht, gesundheitsschädlichen Feinstaub ausstößt und den größten Lärm produziert.

Alfred-Scholz-Platz

Alfred Scholz Platz

Im April 2014 wurde der Alfred-Scholz-Platz als Herzstück der Karl-Marx-Straße eröffnet. Vor seinem Umbau hieß der Platz noch „Platz der Stadt Hof“ und glich eher einem verbreiterten Gehweg. Der Platz wurde nach Süden bis zur Richardstraße deutlich erweitert. Für Aufenthaltsqualität sorgen Sitzmöbel, die Pflanzung zehn neuer Bäume sowie die alte Platane. Durch die Sperrung der Durchfahrt zur Karl-Marx-Straße wurde ein neuer Stadtplatz geschaffen, der mit kleineren Veranstaltungen bespielt werden kann oder einfach zum Verweilen und Austausch einlädt. Im Zuge der Umgestaltung wurden auch die Ganghofer- und die Richardstraße entsprechend baulich angepasst und die Verkehrsführung geändert.

Ein wichtiges Ziel im Sanierungsgebiet ist es daher, Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung oder -verlagerung zu ergreifen, um die Kieze zu entlasten. Entsprechende Festlegungen wurden auch im Berliner Mobilitätsgesetz (MobG BE) verankert. Damit eng verbunden sind Fragen der Verkehrssicherheit und der Reduzierung von Umweltbelastungen. In diesem Artikel geben wir einen kurzen Überblick über mögliche Maßnahmen der Verkehrsberuhigung und -lenkung. Wir stellen darüber hinaus bereits umgesetzte Maßnahmen der Verkehrsberuhigung im Sanierungsgebiet vor. Über aktuelle Planungen und Umgestaltungen wie z. B. der Weichsel-, Elbe- und Weserstraße berichten wir in weiteren Artikeln. Dabei ist zu beachten, dass sich die Anforderungen an Umbaumaßnahmen im Straßenraum stetig verändert haben und komplexer geworden sind. Dies zeigt sich auch im zeitlichen Vergleich von Straßenumbauten, z. B. der Umsetzung eines Projekts wie der Isar- und Neckarstraße gegenüber dem aktuell geplanten Umbau der Elbe- oder der Weichselstraße. Mittlerweile haben bauliche Maßnahmen für Klimaschutz und -anpassung, etwa in Form von Versickerungsmulden, vergrößerten Baumscheiben oder Vegetationsflächen, einen wesentlich höheren Stellenwert.

Neckar- und Isarstraße

Kindl-Treppe

Die Isar- und Neckarstraße zwischen Karl-Marx- und Boddinstraße wurden von 2015 bis 2016 als verkehrsberuhigter Bereich hergerichtet. Die Fahrbahn wurde auf das Niveau der Fußwege angehoben und so durch veränderte Anordnung der Kfz-Stellplätze, Abgrenzung von Aufenthaltsbereichen durch Poller, ergänzenden Baumbestand und Straßenmöblierung eine Mischfläche mit besserer Aufenthaltsqualität geschaffen. Die Anlage von Vegetations- und Versickerungsflächen haben hier in der Planung noch keine Rolle gespielt. Die Maßnahme stand im Zusammenhang mit der Anlage der Kindl-Treppe als neuem Zugang zum Kindl-Gelände. In der übrigen Neckarstraße wurde der Straßenraum durch kleinere Maßnahmen wie Gehwegvorstreckungen verbessert.

Gehwegvorstreckungen
Gehwegvorstreckungen bezeichnen bauliche Maßnahmen, die den Gehweg stellenweise verbreitern und umgekehrt damit die Fahrbahnbreite verringern. Der Verkehr wird verlangsamt, die Sicht für alle verbessert und die Überquerung der Straße erleichtert. Gehwegvorstreckungen werden häufig an Kreuzungen und kritischen Übergängen, z. B. an Schulen, gebaut.

Weichselstraße Höhe Weichselplatz

Weichselstraße

Die Weichselstraße wurde bereits 2016 im nördlichen Abschnitt am Weichselplatz für eine bessere Befahrbarkeit für Radfahrende asphaltiert. Zusätzlich wurden die Gehwege verbreitert und zwei neue Querungsmöglichkeiten geschaffen, um die Grünfläche besser erreichen zu können. Die Gehwegverbreiterung konnte durch die Anordnung der Stellplätze in Längsrichtung entlang der Weichselstraße ermöglicht werden. An der Kreuzung Fuldastraße wurde der Gehweg aufgeweitet und die Fahrbahn verengt, um den Übergang zum Weichselplatz zu erleichtern. Dieser Abschnitt wurde nachträglich als verkehrsberuhigter Bereich ausgewiesen. Auch für den weiteren Umbau der Weichselstraße wird eine Verbesserung der Nutzbarkeit für den Fahrrad- wie Fußverkehr angestrebt, wobei jetzt noch verstärkt die Anforderungen der Regenwasserversickerung die künftige Gestaltung beeinflussen werden (vgl. Artikel Seite 9).

Modale Filter
Der Begriff „Modaler Filter” bezeichnet Durchfahrtssperren für bestimmte Verkehrsmittel, in der Regel für den motorisierten Verkehr. Entsprechende Hindernisse können Poller (Pfostensperren), bauliche Mittelstreifen oder auch Blumenkübel sein. Ein Modaler Filter in Form einer Diagonalsperre z. B. teilt eine Kreuzung durch solche Hindernisse diagonal und führt den motorisierten Verkehr um die Ecke, während der Rad- und Fußverkehr in der Regel weiter in alle Richtungen möglich ist. Eine Quersperre kann eine Straße für bestimmte Verkehrsmittel in eine Stichstraße umwandeln. Überdies sind Poller meist für Rettungsfahrzeuge herausnehmbar. Modale Filter werden besonders häufig in sogenannten Kiezblocks und verkehrsberuhigten Bereichen eingerichtet, mit dem Ziel, den Durchgangsverkehr zu unterbinden.

Donaustraße

Donaustraße

Die Donaustraße wurde zwischen 2018 und 2020 umgebaut. Dabei wurden in den noch vorhandenen Kopfsteinpflasterbereichen die mittlere Fahrbahn zwischen Anzengruber- und Reuterstraße / Pannierstraße asphaltiert und so für den Fahrradverkehr besser benutzbar gemacht. Durch neue Gehwegvorstreckungen an den Kreuzungen kann die Donau­straße nun besser und sicherer zu Fuß überquert werden. Darüber hinaus wurde vor der Rixdorfer Schule durch die Einengung und Verschwenkung der Fahrbahn sowie den Verzicht auf Kfz-Stellplätze zugunsten breiterer Gehwege der Schulweg für die Kinder sicherer gestaltet und mehr Platz zum Aufenthalt vor der Schule geschaffen.

Kiezblocks
Ein Kiezblock bezeichnet ein Wohngebiet ohne Kfz-Durchgangsverkehr. Erreicht wird dies durch Maßnahmen wie Durchfahrtssperren, Einbahnstraßen und/oder Tempolimits. Der Hauptverkehr wiederum wird auf die Hauptstraßen geleitet. Alle Gebäude in den Kiezblocks bleiben jedoch weiterhin – auch für Rettungs-, Liefer- und Versorgungsfahrzeuge – erreichbar. Die Einrichtung von Kiezblocks in Berlin ist ein vergleichsweise junges Konzept und folgt unter anderem dem Vorbild der spanischen Stadt Barcelona. Diese hat mit dem Prinzip der Superblocks aufgezeigt, wie innerstädtische Quartiere vom Durchgangsverkehr entlastet und zugleich neue Aufenthaltsflächen geschaffen werden können.

Verkehrsberuhigter Bereich
In einem ausgewiesenen verkehrsberuhigten Bereich darf der Fußverkehr durch den Fahrzeugverkehr – motorisiert wie nicht-motorisiert – weder gefährdet noch behindert werden. Die entsprechend gekennzeichneten Straßen haben meist nur eine Aufenthalts- und Erschließungsfunktion. Durch bauliche Maßnahmen wie Aufpflasterungen, Blumenkübel und Sitzbereiche, wechselseitige Kfz- und Radstellplatzflächen u.ä. wird in der Regel das klassische Straßenbild mit Gehwegen und Fahrbahnen aufgelöst. Zudem wird die Einhaltung der maximal erlaubten Schrittgeschwindigkeit unterstützt.

Weigandufer

Weigandufer

Von 2019 bis 2020 wurde das Weigandufer zwischen Fulda- und Innstraße umgestaltet und die Straße Weigandufer zu einer Fahrradstraße umgewidmet. Der Straßenabschnitt zwischen Wildenbruch- und Innstraße wurde für den Kfz-Verkehr geschlossen und durch Poller abgesichert. Die Fahrbahn wurde hier zugunsten breiter Radwege und Vegetationsflächen zurückgebaut. Um die verkehrliche Situation sowohl für den Rad- als auch den Fußverkehr weiter zu verbessern, wurde an der Kreuzung Weigandufer/ Wildenbruchstraße eine Mittelinsel eingebaut und ein Zebrastreifen angelegt.
Da auch nach Einrichtung der Fahrradstraße im Abschnitt zwischen Wildenbruch- und Fuldastraße immer noch zu viele Autos fuhren, wurde der ursprünglich nur für die Dauer der Bauarbeiten vorgesehene Einrichtungsverkehr von der Elbe- zur Wildenbruchstraße dauerhaft beibehalten.

Fahrradstraßen
In einer ausgeschilderten Fahrradstraße ist die Fahrbahn ausschließlich oder vor allem für den Radverkehr vorgesehen – das heißt, der Radverkehr darf hier weder gefährdet noch behindert werden und genießt in der Regel an Kreuzungen Vorfahrt; auch ist das Nebeneinanderfahren erlaubt. Andere Fahrzeuge dürfen die Straße in der Regel nur dann benutzen, wenn dies ausdrücklich gekennzeichnet ist. Erlaubt wird dies zumeist aber nur für den Anliegerverkehr.

Parkraumbewirtschaftung
Mit der Parkraumbewirtschaftung wird der vorhandene Parkraum im öffentlichen Straßenraum organisiert und gesteuert – vor allem dort, wo die Zahl der parkplatzsuchenden Fahrzeuge die verfügbaren Plätze übersteigt. Parkraumbewirtschaftung stellt an sich kein Mittel der Verkehrsberuhigung dar. Durch das gebührenpflichtige Parken wird aber die Nachfrage reduziert und damit der Parksuchverkehr verringert, womit auch geringere Lärm- und Umweltbelastungen in Quartieren abseits der Hauptstraßen einhergehen. Anwohnende finden gleichzeitig leichter einen Parkplatz und müssen dafür in der Regel eine deutlich geringere Gebühr als Ortsfremde entrichten. Im Norden Neuköllns werden derzeit entsprechende Zonen eingerichtet. Den Anfang markiert der Reuterkiez zwischen Kottbusser Damm, Maybachufer, Pannierstraße und Sonnenallee.
Stephanie Otto